Das Gericht Crainfeld und der Edelhof

Der heutige Grebenhainer Ortsteil Crainfeld ist nicht nur seit mehr als einem Jahrtausend Sitz einer Pfarrei, sondern war auch bis 1821, nachweislich mehr als 500 Jahre lang, das Zentrum eines Verwaltungsbezirks, in dem auch Recht gesprochen und verkündet wurde. Heute erinnert ein bedeutender Fachwerkbau in der Ortsmitte von Crainfeld, der 1685 erbaute Edelhof, noch am ehesten an das frühere Gericht Crainfeld. Doch der Edelhof war "nur" das Wohn- und Amtshaus der Crainfelder Oberschultheißen und ihrer Familien, während das eigentliche Gericht an ganz anderer Stelle abgehalten wurde und in einer langen Tradition wurzelte.

"Herrschaft" bedeutete im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, von den Städten abgesehen, Herrschaft über Bauern, die den weitaus größten Teil der Bevölkerung ausmachten. Die Herrschaft trat im Dorf im Wesentlichen durch Abgaben, Dienste und die Gerichtsbarkeit in Erscheinung. Der Begriff des Gerichts war weiter gefasst als heute und meinte die gesamte herrschaftliche Verwaltung, nicht bloß die Rechtssprechung. Eine Trennung von Gesetzgebung und Verwaltung an sich war noch unbekannt.

Das Verhältnis der adeligen Gerichtsherren zur bäuerlichen Dorfgemeinde war nominell durch gegenseitige Treueverpflichtung bestimmt. Faktisch wurden jedoch ganze Dörfer, Teile oder auch Anteile an Einkünften aus denselben scheinbar über die Köpfe der Untertanen hinweg verkauft, verpfändet oder getauscht. Die Untertanen hatten dem Gerichtsherren Dienste und Abgaben zu leisten wie z. B. das sogenannte "Rauchhuhn", das jeder Hausbesitzer (Besitzer einer Feuerstelle) entrichten musste, zunächst in Form von Naturalien, aber schon etwa seit dem 14. Jahrhundert in Geld.

Die Bauern waren aber keineswegs völlig der Herrschaft ausgeliefert. Sie waren organisatorisch in der Dorfgemeinde zusammengefasst, die ihre inneren Angelegenheiten bis in die Neuzeit hinein relativ eigenständig regelte und ihre Rechtsbeschlüsse in Form der zunächst nur mündlich weitergegebenen, später dann schriftlich aufgezeichneten, so genannten "Weistümer“ fasste.

Der alte Gerichtsplatz in Crainfeld an der "Cent" mit dem 1921 eingeweihten Kriegerdenkmal, aufgenommen wohl in den 1920er Jahren.

Die mindestens einmal im Jahr stattfindenden Gerichtsversammlungen zu festgelegten Zeiten hatten ihre historische Wurzel im "Ding“ bzw. "Thing“, den einstigen Gerichts- und Volksversammlungen der germanischen Zeit, die aber schon in karolingischer Zeit zum Bestandteil feudaler Herrschaft geworden waren. Zu den regulären, den "ungebotenen“, Gerichtsversammlungen hatten alle Untertanen zu erscheinen. Sie bildeten den "Umstand“, während nur dem vorsitzenden Richter, dem Schultheiß, und den Schöffen erlaubt war, zu sitzen. Das Gericht tagte stets unter freiem Himmel, zumeist unter einem Lindenbaum.

Besitzgeschichte und Umfang

In der Landgrafschaft Hessen hatte sich die Gliederung des Territoriums in Gerichte bzw. Gerichtsbezirke, die wiederum in Ämtern zusammengefasst waren, bis zum Ende des 15. Jahrhunderts konsolidiert und blieb im Wesentlichen bis 1821 bestehen. Im südlichen Vogelsberg und in der Wetterau wurde das Herrschaftsgebiet der Landgrafen von Hessen bzw. das dortige "Oberfürstentum Hessen“ (Oberhessen) seit 1450 durch die historische Grafschaft Nidda abgeschlossen.

Dem Wortlaut älterer Urkunden zufolge war das Gebiet der Grafschaft Nidda schon zur Zeit der Grafen von Ziegenhain in die folgenden Teile gegliedert: Die um Echzell herum gelegene Fuldische Mark in der Wetterau (ursprünglich Besitz der Abtei Fulda), das Amt Lißberg (bis 1415 Besitz der Rodensteiner), und das Amt Nidda. Letzteres bestand wiederum aus dem Gericht Nidda mit Stadt und Schloss und den vier Gerichten am Vogelsberg: Rodheim, Stornfels, Burkhards und Crainfeld.

Am weitesten abgelegen von der Amtsstadt Nidda und an gleich drei Seiten von den Herrschaftsgebieten außerhessischer Landesherren umgeben war das Gericht Crainfeld. Dies sollte auch bis zum Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im Jahr 1806 so bleiben. Im Jahr 1789 grenzte das Gericht Crainfeld im Norden an das Gericht Engelrod, das zum Herrschaftsgebiet der Freiherren Riedesel zu Eisenbach gehörte, jedoch hessisches Lehen war. Nördlich benachbart war daneben noch das Fürstbistum Fulda (bis 1752 Fürstabtei) mit seiner Enklave Herbstein. Im Osten lagen die freiherrlich-riedeselischen Gerichte Altenschlirf-Schlechtenwegen und Moos. Im Süden erstreckte sich das zum Fürstentum Isenburg-Birstein gehörende Gericht Reichenbach. Nur im Westen grenzte das Gericht Crainfeld an hessisches Gebiet, nämlich das Gericht Burkhards.

Wohl wegen dieser peripheren Lage sprach man auch vom "Hintergericht", wenn das Gericht Crainfeld gemeint war. Das benachbarte Gericht Burkhards, dessen Ortschaften auf den Höhen des Vogelsberges lagen, war dagegen das "Obergericht". Zum Gericht Crainfeld gehörten neben dem Gerichtsvorort Crainfeld die Gemeinden Bermuthshain, Grebenhain und Ilbeshausen.

Der erste schriftliche Hinweis über das Gericht Crainfeld findet sich im Kontext späterer Urkunden in dem am 3. Februar 1311 geschlossenen Ehekontrakt des Grafen Johann I. von Ziegenhain und der Luitgard von Nidda. Hierin werden der Braut unter anderem Gülten (d. h. Abgaben) aus Rodheim, Widdersheim, Dauernheim, Bingenheim, Echzell, Berstadt, Burkhards und Crainfeld zugestanden. Sämtliche Territorien waren Lehen des Klosters Fulda.

Vom 30. November 1332 datiert eine Urkunde, wonach Abt Heinrich VI. von Fulda seine burg czu Herbestein und die Stad mit dem gerichte czu Creyenfeld vnd zum Borghartes für 800 Pfund Heller verpfändete. Auch in späterer Zeit war die Abtei Fulda wiederholt zur Verpfändung des Gerichts Crainfeld oder Teilen davon, immer in Verbindung mit dem benachbarten Gericht Burkhards und der Burg und Stadt Herbstein, gezwungen: 1387 an Albrecht und Heinrich von Merlau und wieder 1407 an Heinrich von Merlau, 1419 an Johann II. und Gottfried IX. von Ziegenhain und Nidda, 1441 an Hermann II. Riedesel zu Eisenbach, 1491 an Walther, Philipp, Daniel und Ludwig von Fischborn.

Das Gericht Crainfeld (hier "Amt und Statt Creinfeld") auf einer Ende des 18. Jahrhunderts entstandenen Karte der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt.

1498 verkaufte Abt Johann II. von Fulda das von ihm zuvor wiederholt verpfändete Drittel von Herbstein und der Gerichte Burkhards und Crainfeld schließlich für 700 Gulden an Landgraf Wilhelm III. von Hessen. Formal blieben die Äbte von Fulda die Oberlehnsherren des Gerichts Crainfeld wie der gesamten Grafschaft Nidda. Die tatsächliche Herrschaft aber wurde zu diesem Zeitpunkt bereits seit einem halben Jahrhundert von den hessischen Landgrafen ausgeübt.

Bereits 1437 trug Johann II. als letzter Graf von Ziegenhain und Nidda seine beiden Grafschaften und damit auch das Gericht Crainfeld Landgraf Ludwig I. von Hessen als Lehen auf. Mit dem Ableben des kinderlos gebliebenen Grafen am 14. Februar 1450 wurden die Territorien dann endgültig hessischer Besitz, wenngleich sich eine Erbauseinandersetzung mit den Grafen von Hohenlohe noch bis 1495 hinzog.

Die Grenzen des Gerichts Crainfeld, genauer gesagt die einzelnen Grenzpunkte, wurden alljährlich auf den Gerichtssitzungen verkündet und gingen als fester Bestandteil in die Weistümer ein. Die ältesten erhaltenen Grenzbeschreibungen datieren aus dem 16. Jahrhundert. Als Ausgangs- und Endpunkt der Grenzbeschreibungen galt stets das Vaitshainer Mühlwehr, welches am Schnittpunkt der Gemarkungen von Crainfeld, Grebenhain und Vaitshain lag. Eine vollständige Grenzbeschreibung ist im Weistum des Gerichts Crainfeld von 1556 überliefert und lautet:

Von dem Veitshainer Mülwehr an das Wasser hinein bis an den Strichborn, bis an die hohe Straß, bis an das Bannroder Mülwehr, bis an das Frawhol, von dem Frawhol an bis anstossendt die Lanzenhain, von der Lanzenhain an der Angewandt herein bis herab auf das Wasser, das Wasser heraus bis an das Floß, welches aus Folsberger Wisen in das Wasser die Luder kompt, bis an den Schlagk, bis auf den Kriegacker in die Steinrücken, von der Steinrücken an den Rullenberg hinein bis an die Mosbach, bis in den Hornungs-Aln, bis ins Buchholz, bis in die kleine Dudelwiesen, bis in den Haingesborn, bis in den Königsborn, bis in den Sinnerborn, bis auf den Weigelsborn, bis auf das Folsberger Heitgen, bis auf den süssen Flecken, bis auf den Scheidtborn, bis an den klein Hüttberg in die Steinrücke, von der Steinrücken an auf der Höhe herfür bis auff die holzern Brücken die liegt unten an der Eppewiesen, bis auf den Buchborn, bis an den hohen Nesselbergk an die Kauthen, von der Kauthen an den Grund herein bis in Ursprung der Haselbach, von der Haselbach an herein bis in Ilbesheuser recht Wasser, das Ilbesheuser Wasser herein bis an den Hirzborner Flus, das Hirzborn Flus hinaus bis in den Hirzborn, bis an den Teufelsbaum, bis auf das hohe Holz, bis auf das Weidig, bis auf das Floß, bis auf die Bune, bis auf das Faitzhainer Mülwehr. Quelle: Georg Landau: Beschreibung des Gaues Wettereiba, Kassel 1855, S.210

Der Ablauf der Gerichtssitzungen

Der Ort, an dem alljährlich am dritten Pfingsttag die Unterschultheißen, Gerichtsschöffen, Bürgermeister und natürlich die Ortsbürger der vier Gerichtsdörfer unter dem Vorsitz des Oberschultheißen zusammenkamen, war der Gerichtsplatz am nördlichen Ortsende von Crainfeld an der "Cent". Diesen Name lebt seit 1978 im nördlichen Teil der Crainfelder Ortsdurchfahrt fort, welche "An der Cent" heißt. Die genaue Lage des Gerichtsplatzes ist heute jedoch nicht mehr ohne weiteres zu erkennen. Sie wird in etwa durch eine kleine Wegekreuzung zwischen den Ortsstraßen „An der Cent“ und „Nebenstraße“ markiert. Hier stehen auch außerdem zwei Linden, unter deren Vorgängern sich die vier Gemeinden Crainfeld, Grebenhain, Bermuthshain und Ilbeshausen einst jahrhundertelang versammelten.

Ausschnitt aus der Parzellkarte der Gemarkung Crainfeld von 1832 (Flur I). Der frühere Gerichtsplatz ist oben rechts gut zu erkennen. Links unterhalb von der Kirche befindet sich der Edelhof mit seinem Erkervorbau.

Ein glücklicher Umstand hat jedoch die historische Gerichtsordnung von Crainfeld überliefert, über die es möglich ist, sich ein genaues Bild von einer Gerichtsversammlung um die Mitte des 18. Jahrhunderts zu machen. Im Jahr 1746 bat der Licentiat der Rechte Johann Konrad Hallwachs (geb. 1718, gest. 1789) zu Gießen den damaligen Crainfelder Oberschultheißen Johann Peter Rübsamen (geb. 1698, gest. 1771), ihm den Ablauf einer Gerichtsversammlung zu schildern.

Hallwachs veröffentlichte die Gerichts-Hegung und Weißthum zu Crainfeld anschließend in seiner Schrift Commentatio de centena Illimitata sive territoriali. Sein Bericht von dem merkwürdigen Gericht, welches unter dem freyen Himmel, unter einer Linde, ohnweit Crainfeld Amts Nidda in Hessen, gehalten wird, wurde auch in das 1753 von dem Rechtsgelehrten Johann August Hellfeld (geb. 1717, gest. 1782) in Jena herausgegebene Repertorium Reale Practicum Iuris Privati Imperii Romano-Germanici aufgenommen. Eine der jüngeren Wiedergaben stammt von Dr. Kurt Reidt in Nr. 7/8 der Geschichtsblätter für den Kreis Lauterbach von 1927.

Eröffnet wurde das Gericht regulär am dritten Pfingsttag (daher auch "Pfingstgericht") demnach von dem Crainfelder Oberschultheißen als dem Richter, der zum jeweils ältesten Gerichtsschöffen sprach: Ich frage Euch, ob es recht Tagzeit, Zeit und Stunde seye, Unserm gnädigsten Fürsten und Herrn das Gericht zu hegen und zu halten? Dieser hatte zu antworten: Ja es ist heute Zeit Unserm gnädigsten Fürsten und Herren sein Gericht zu hegen und zu halten. Danach wandte sich der Richter an den zweiten Gerichtsschöffen: Wie soll ich dann das Gericht hegen und halten? Der entgegnete ihm: Ihr sollt es hegen im Nahmen Unsers gnädigsten Fürsten und Herren und mit Rath des gantzen Umstandes, daß es Kraft und Macht habe. Danach erklärte der Richter: So hege ich das Gericht in dem Nahmen des Durchlauchtigsten Fürsten und Herrn, Landgrafens zu Hessen usw. mit dem Eyd, Chur und Wahl und erlaube allhier , was recht ist , und verbiete, was unrecht ist, ich will auch verbotten habe alle Einrede und Ueberfrage, da einer dem andern sein Wort wird vorbringen, es seye denn mit Recht zugelassen, der soll es Unserm gnädigsten Fürsten und Herrn verbüssen.

Nach Beendigung dieses Ausspruchs hatte der Richter sich an den dritten Gerichtsschöffen zu wenden mit der Frage: Habe ich also Unserm gnädigsten Fürsten und Herrn das Gericht genugsam geheget? Dieser hatte ihm zu antworten. Ja! Ihr habt es vor dißmahl genugsam geheget. War dies geschehen, so ermahnte der Richter öffentlich die Rügenmeister oder Heimberger (die zur Anzeige von Straftaten und Delikten berechtigten Personen) der vier Gerichtsgemeinden, alle vorzubringenden Vergehen zu offenbaren und anzuzeigen, mit der Androhung von fünf Gulden Strafe, wenn das unterlassen würde. Die vier versammelten Gemeinden, d. h. die männlichen Ortsbürger mussten nun die Unterschultheißen namentlich aufrufen, um festzustellen, ob sie auch wirklich erschienen waren.

War dies geschehen, so ließ der Richter durch den Gerichtsdiener die Gemeinden aufrufen, und zwar in der folgenden Reihenfolge: Was bringen an die Heimberger wegen Crainfeld, Culhain und Hirschroth? Was bringen an die Heimberger wegen Bermetshain? Was bringen an die Heimberger wegen Grebenhain und Scherßhain? Was bringen an die Heimberger wegen Ilbeshausen und Arnspurg? Bei jedem Ort wurden auch die Unterschultheißen, Bürgermeister (gemeint waren damit die Gemeinderechner), Feldschützen und Wirte gefragt, ob sie etwas vorzubringen hatten. Als letztes erging die Frage an den Schöpffen Stuhl, die versammelten Gerichtsschöffen. Jeder, der vor dem Gericht sprechen wollte, auch wenn er eine Frage zu beantworten hatte, musste dem Herkommen nach zuvor um Erlaubnis dazu bitten

Das Crainfelder Gericht als historische Theaterinszenierung am Originalschauplatz, aufgeführt bei der 1000-Jahr-Feier am 12. Juni 2011.

Der älteste Gerichtsschöffe hatte nun um Erlaubnis zu bitten, sich zurückzuziehen, da nun solche niehmalen abgeschlagen wird. Die Gerichtsschöffen gingen nun an einen gewissen Orth ohn ferne den Gerichts-Platz, der etwas tief und die Schöpffenkaut genennet wird, an welchem vor Zeiten Sitze von Rasen geschlagen gewesen seyn sollen. Hier berieten sie darüber, was vor dem Gericht u. U. noch vorzubringen wäre. War auch das erledigt, so musste der älteste Gerichtsschöffe nach alter Tradition, aber nur bei den regulär stattfindenden Gerichtsversammlungen (dem "Ungebott"), folgendes vortragen:

Auf heutigen Tag wird Unserm gnädigsten Fürsten und Herrn ein ungebottenes Gericht gehalten, darauf müssen erscheinen Mann vor Mann da werden unserer gnädigsten Fürsten und Herrn fünff Articul ausgewiesen. 1.) Hat Unser gnädigster Fürst und Herr an diesem Gerichte zu gebiethen und zu verbiethen, über Halß und über Haupt, und Bluth und Fleisch, und hat unser gnädigster Fürst und Herr Macht, die Sünder zu straffen und die Uebelthäter zu züchtigen. 2.) Hat unser gnädigster Fürst und Herr den Fischfang im Wasser. 3.) Hat Unser gnädigster Fürst und Herr den Wildfang mit Tücher, Garn und Hunden, wie Ihrer Hochfürstl. Durchl. sich dessen gebrauchen mag. 4.) Hat unser Fürst und Herr den Waag zu hegen, bis an das Faitzhainer Mühl-Wehr, da stehet der erste Stein. 5.) Wird unserm gnädigsten Fürsten und Herrn der gantze Bezirk ausgewiesen und gehet vom Faitzhainer Mühl-Wehr, da der erste Stein stehet, dem Wasser hinunter, biß an den Strichborn, da stehet ein Stein usw..

Der älteste Gerichtsschöffe las nun von Grenzstein zu Grenzstein die Grenze des Gerichts Crainfeld ab. Zwar hat Johann Konrad Hallwachs diesen Teil des Weisthums bei seiner Beschreibung ausgelassen, doch ist davon auszugehen, dass er mit der Grenzbeschreibung von 1556 übereinstimmte. War der älteste Gerichtsschöffe bei seiner Beschreibung der Gerichtsgrenze am Ende angelangt, d. h. am Ausgangspunkt, dem Vaitshainer Mühlwehr, so hatte er zu sprechen: So weit hat Unser gnädigster Fürst und Herr zu gebiethen, und weilen auch vormals Unser gnädigster Fürst und Herr ein gantz kniend und sitzend Gericht gehabt.

Die vier versammelten Gemeinden mit sämtlichen Untertanen des Gerichts hatten nun auf die Knie zu fallen und solange kniend zu verharren, bis ihnen die Gerichtsbeamten durch einen Wink erlaubten, wieder aufzustehen. Der Richter sah sich währenddessen um, damit er feststellen konnte, ob auch niemand noch stand. Dieser wurde ansonsten Unserm gnädigsten Fürsten und Herrn zur Straffe gebracht. Nur der Richter und die Gerichtsschöffen durften sitzenbleiben.

Gegen Ende der Gerichtsversammlung wurden dann noch zur Veröffentlichung anstehende landgräfliche Verordnungen verlesen und eingeschlichene Mißbräuche in der Policey und dem gemeinen Wesen untersaget und verbotten. Schließlich wurde das Gericht mit drei Schlägen mit dem Gerichtsstab auf den Tisch geschlossen.

Über den Gerichtsplatz in Crainfeld teilte Oberschultheiß Rübsamen in seinem Schreiben an Johann Konrad Hallwachs mit: Das Pfingst-Gericht wird unter zwey Linden am Ende des Orths Crainfeld gehalten und der Platz die Cent genannt. Sein Bericht ist auch der älteste bekannte, der Bezug auf die Wüstungen in der Umgebung von Crainfeld nimmt. Denn bei den Gerichtsversammlungen wurden auch die Einwohner der Ortschaften Kuhlhain, Hirschrod, Schershain und Arnsburg aufgerufen, obgleich diese schon Mitte des 16. Jahrhunderts nachweislich Wüstungen waren. Dieser Umstand ist ein Indiz für das Alter des Weistums, dessen Inhalte und Formulierungen aufgrund des Charakters als "geltendes Recht" einfach beibehalten wurden, obwohl sich die wahren Verhältnisse geändert hatten. Außerdem waren die Gemarkungen der vier ausgegangenen Orte zwar zu Crainfeld (Kuhlhain und Hirschrod), Grebenhain (Schershain) und Ilbeshausen (Arnsburg) gekommen, wurden aber dennoch rechtlich noch als etwas separates behandelt.

Postkarte von Crainfeld mit Ortsansicht von Nordwesten, entstanden um 1940, rechts unten der Edelhof.

So schrieb Oberschultheiß Rübsamen: Die oben in der Aufforderung sich meldende Dörfer u. zwar bey Crainfeld , Culhain u. Hirschroth, bey Grebenhain Scherß- od. Schereshain und bei Ilbeshausen. Arnspurg sind in den alten Kriegszeiten abgegangen und deren Gemarkungen und Felder bey die Orthen, bey welchen sie ietzo stehen, geschlagen worden. Wo die 3 erstere gestanden, ist noch gar wohl bekand und zu zeigen, von dem letzteren aber will niemand mehr wissen. Was das Alter des Weistums betrifft, teilte er dem Gießener Rechtsgelehrten mit: Wie alt der Weißthum seye, ist mir unbekannt, den die gar alte Gerichtsacten im Feuer aufgegangen seyn sollen, er findet sich aber in denen Gerichts-Büchern de an. 1637 und 1679. Dies ist natürlich ein Verweis auf die Zerstörung Crainfelds am 1. Juni 1622, bei der das Amtshaus des Schultheißen als erstes in Brand gesteckt worden ist.

Nicht erwähnt hat Johann Peter Rübsamen in seinem Bericht ein besonderes Bauwerk, das jedem Reisenden auf der durch Crainfeld führenden Straße die Gerichtsbarkeit symbolisierte. Unmittelbar nördlich des Dorfes stand auf einer leichten Erhebung der Galgen, dessen Standort im Volksmund auch Galgenkippel genannt wurde. Von der unweit des heutigen evangelischen Friedhofs gelegenen Richtstätte sind heute keine Spuren mehr zu finden. Über eine Hinrichtung dort ist nichts bekannt.

Die Gerichtspersonen und Beamten

An der Spitze des Gerichts stand der vom Landgrafen bestallte Oberschultheiß, im Mittelalter ursprünglich als Zentgraf und gegen zeitweise auch als Gerichtsschultheiß bezeichnet. Er übte im Namen des Landesherren die niedere Gerichtsbarkeit aus. Hierzu gehörte insbesondere die Ahndung von "Feldfreveln" wie Frucht- und Holzdiebstählen. Die höhere Gerichtsbarkeit dagegen war mit dem Aufbau einer verschriftlichten Verwaltung in der frühen Neuzeit zunehmend von der fürstlichen Regierung in Gießen an sich gezogen worden. Neben der Tätigkeit als Richter übte der Oberschultheiß auch die Verwaltung des Gerichts aus, wie die Einziehung der Abgaben.

Ihm zur Seite standen der Gerichtsschreiber, der Gerichtsdiener und der Oberförster, dem seinerseits noch Unterförster in den einzelnen Dörfern unterstanden. Hinzu kamen im 18. Jahrhundert eine Reihe weiterer Beamten, wie der Landbereiter (berittener landgräflicher Aufsichtsbeamter), der Renteiverwalter oder Rentamtmann (für die Finanzverwaltung) oder der Ökonomiekommissar (zur Bearbeitung landwirtschaftlicher Angelegenheiten). Diese Beamtenfamilien bildeten innerhalb des Ortes eine von der bäuerlichen Mehrheit der Bevölkerung sozial weitgehend abgeschlossene Gruppe, oft mit anderen Beamtenfamilien aus dem Amt Nidda und der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt verwandt und verschwägert. Für das 17. und 18. Jahrhundert sind für Crainfeld regelrechte "Beamtendynastien" nachweisbar.

An der Spitze der vier Dorfgemeinden stand der Unterschultheiß. Die vier Gerichtsdörfer bestimmten darüber hinaus auch noch insgesamt zwölf Gerichtsschöffen. Daneben gab es in jedem Dorf noch einen Bürgermeister, dessen Amt einem Gemeinderechner vergleichbar war. Die Dorfgemeinde wurde nur von männlichen Ortseinwohnern, die durch Geburt oder Zahlung eines Einzugsgeldes ein Ortsbürgerrecht erworben hatten, gebildet. Nur Ortsbürger waren berechtigt, Einrichtungen der Gemeinde wie die Backhäuser oder Hutweiden in Anspruch zu nehmen, nicht jedoch sonstige Ortsansässige, die als "Beisassen" bezeichnet wurden. Auch Juden waren vom Ortsbürgerrecht ausgeschlossen.

Alle Ortsbürger waren im Fall eines Krieges oder zur Abwehr einer Bedrohung folgepflichtig und wurden zum sogenannten "Ausschuss", den ein Ausschusshauptmann befehligte, herangezogen. Daneben mussten als Symbol ihrer Hörigkeit jährlich ein Rauchhuhn und das sogenannte Buttergeld entrichten und Frondienste für den Landesherren leisten. So beurkundete Landgraf Wilhelm III. von Hessen am 11. Dezember 1493 ein gedinge (Abkommen über Dienste) mit den menern des gerichts Kreyenfelt, und zwar wy sie das von alters her gehabt hatten. Demnach mussten die "Männer" (Ortsbürger) der Dörfer Crainfeld und Bermuthshain jährlich hundert Viertel Hafer auf das landgräfliche Schloß in Marburg bringen. Ebenfalls mussten sie nach altem Herkomen zehn Gulden im Jahr an die Amtleute und Amtknechte des Landgrafen in Nidda entrichten. Weitere Frondienste waren zu erbringen, wenn der große landgräfliche Fischteich an der Westseite von Grebenhain, erstmals 1429 erwähnt und 1789 trockengelegt, abzufischen und zu unterhalten war.

Die Crainfelder Oberschultheißen

Die Weistümer des Gerichts Crainfeld waren Ausdruck einer ursprünglich rein mündlich überlieferten Rechtsordnung. So überrascht es nicht, dass erst mit der systematischen Verschriftlichung der Verwaltung, in der Landgrafschaft Hessen seit dem 16. Jahrhundert, auch die Namen derjenigen überliefert sind, die im Auftrag des Landesherrn die Gerichtsbarkeit und Verwaltung ausübten. Es ist eine kirchliche Urkunde, am 3. Juli 1396 über den Verkauf der dem St. Nikolaus-Altar zu Crainfeld gehörenden Korngülte in Kilianstätten an das Kloster Arnsburg ausgestellt, die erstmals die Namen von Crainfelder Gerichtspersonen (als Zeugen) nennt.

Crainfeld und seine Umgebung auf der 1797 von Heinrich von Schmitt, dem damaligen Chef des österreichischen Generalquartiermeisterstabes, angefertigten und nach Westen orientierten Karte von Südwestdeutschland.

Der erste bekannte czingrebe zu Creyenfeld ("Zentgraf zu Crainfeld") war demnach ein Heincze. Er wird in der Urkunde vom 3. Juli 1396 zusammen mit Fricke Weydeliche schultheisze daselbes, Hans Brockeman, Wiczil Geszer, Heyncze Rode von Elbenshusen, scheffene auch dasselbis als Zeuge aufgeführt. Von dieser Ausnahme abgesehen sind jedoch keine weiteren Schultheißen des Gerichts Crainfeld in mittelalterlicher Zeit bekannt.

Umso umfangreicher ist das Material, das über den zweiten bekannten Schultheißen in Crainfeld überliefert ist. Balthasar von Jossa war ein Zeitgenosse des hessischen Landgrafen Philipp I. ("der Großmütige"). In die Regierungszeit Philipps I. fiel u. a. die systematische Aufnahme des landgräflichen Besitzstandes in den Salbüchern für die hessischen Ämter. Für das Amt Nidda erfolgte sie zuerst 1537 und dann 1556. Aus dem letztgenannten Jahr ist das Salbuch für das Gericht Crainfeld erhalten, an dessen Abfassung Balthasar von Jossa beteiligt gewesen sein muss. Den überlieferten Aktenstücken zufolge hat er etwa im Zeitraum von 1540 bis 1580, möglicherweise bis zu seinem Tod, das Amt als Schultheiß in Crainfeld ausgeübt.

Nicht wenige der über Balthasar von Jossa überlieferten Schriftstücke stammen aus den Archiven der Riedesel zu Eisenbach. Während seiner Amtszeit war der Crainfelder Schultheiß nämlich darauf bedacht, mehr oder weniger systematisch seinem Landgrafen die alleinigen Hoheitsrechte und Einkünfte im Gericht Crainfeld zu sichern und die Riedesel aus ihren überkommenen Rechtstiteln hinauszudrängen. Strittig war beispielsweise die Grenze zwischen den Gerichten Crainfeld und Moos, die vertraglich am 28. April 1542 festgelegt und anschließend abgesteint werden konnte.

Besonders um Ilbeshausen entbrannten viele Konflikte. 1540 ließ Balthasar von Jossa dort eine neue Mühlenstätte einrichten, um die beiden dortigen, von den Riedeseln zu Lehen gehenden, Mühlen zu schädigen. Auch behinderte er die Zahlung von Zinsen und die Ableistung von Diensten durch die Leibeigenen der Riedesel im Gericht Crainfeld, die sogenannten "Mühlischen Leute". 1549 musste der damalige landgräfliche Statthalter Georg von Kolmatsch ihn sogar ausdrücklich ermahnen, die Riedesel nicht weiter zu belästigen.

Ein weiterer Konfliktherd war der etwa 20 ha große Fischteich, der sich zwischen dem Dorf Grebenhain und den Ahlmühlen am Oberwald befand. Die eine Hälfte des Teichs war seit 1459 riedeselisches Lehen. Während einer Überschwemmung Ende der 1550er Jahre brach der Damm des Teiches und wurde durch den landgräflichen Küchenmeister wieder her, holte sich dazu das Holz aber aus dem riedeselischen Wald Hetgeshain. Als der Teich nun zum ersten Mal wieder abgefischt wurde, behielt sich der hessische Landgraf fortan die alleinige Nutzung vor, da er die Instandsetzung des Damms getragen hatte. Einsprüche der Riedesel wurden nicht beachtet. Nach einem Jahrzehnt wurde 1569 schließlich eine Einigung erzielt. Die Riedesel verzichteten dabei auf ihr Recht am halben Teich zu Grebenhain und erhielten ein Stück Land, das sogenannte "Gemöhr", zwischen Crainfeld und Nieder-Moos zur Anlage eines neuen Fischteiches. Hieraus sind die heutigen Mooser Teiche entstanden.

Nachfolger des Balthasar von Jossa als Schultheiß in Crainfeld war zweifellos der ab 1580 belegte Reinhard Wiederholt (geb. 1555 in Frielendorf, gest. 1640 in Wien). Seine Ehefrau Susanne geb. Günste stammte aus Fritzlar und starb am 12. März 1627 in Crainfeld, wie auf ihrem früher an der Kirche stehenden Grabstein gestanden haben soll. In Wiederholts Amtszeit gingen die Auseinandersetzungen mit den Riedeseln weiter, so um das Recht der Fischerei im Schwarzen Fluß bei Ilbeshausen, dass den Riedeseln seit 1599 vertraglich zustand, aber von Schultheiß Wiederholt ignoriert wurde.

Reinhard Wiederholt war der Crainfelder Schultheiß, als der Ort am 1. Juni 1622 durch die Soldateska des "tollen Christian", Herzog Christian von Braunschweig-Wolfenbüttel geplündert und niedergebrannt wieder. Er selbst erlitt einen Schaden von 6.000 Reichstalern, mehr als ein Viertel der Gesamtschadenssumme von 20.532 Reichstalern, die 1625 im Kriegsschadensverzeichnis des Oberfürstentums Hessen festgestellt wurde. In seinem letzten Lebensjahrzehnt konvertierte Reinhard Wiederholt zum Katholizismus und ging nach Wien, wo er auch starb. Sein Sohn Daniel war ihm zuletzt als Adjunkt (Gehilfe) beigegeben.

Als Wiederholts Nachfolger dürfte Johann Nikolaus Ellenberger (geb. 1612 in Homberg a. d. Efze, gest. 1680 in Crainfeld) zum Gerichtsschultheiß in Crainfeld bestallt worden sein. Nach dem von Pfarrer Mitzenheim in sein Geschlechtsregister der Pfarrei Crainfeld übernommenen Eintrag im Kirchenbuch amtierte er insgesamt 43 Jahre als Schultheiß. Über seine Ehefrau Margaretha geb. Lyncker war er mit Reinhard Wiederholt verwandt. Sie war die Tochter des Niddaer Rentschreibers Nikolaus Lyncker und der Veronika geb. Wiederholt, einer Tochter des  Crainfelder Schultheißen Wiederholt.

Im Amt folgte Johann Nikolaus Ellenberger sein Sohn Heinrich Christoph Ellenberger (geb. 1642 in Crainfeld, gest. 1689 in Crainfeld). Von seiner Amtszeit ist wenig zu berichten, aber er hinterließ die bis heute sichtbarste bauliche Erinnerung an das Gericht Crainfeld, nämlich den auf seine Veranlassung 1685 neu erbauten Edelhof. Seine Initialen HCE finden sich bis heute in dessen Hausinschrift am Erkervorbau.

Die Giebelseite des Edelhofs auf einer um 1910 entstandenen Aufnahme.

Im Ämterbuch der Landgrafschaft Hessen wird als Oberschultheiß in Crainfeld für die Jahre 1717 und 1728 Paul Petri genannt. Als sein Adjunkt fungierte Johann Paul Buff (geb. 1679 gest. 1729), der ihm auch als Oberschultheiß nachfolgte. Johann Paul Buff war ein Bruder des Pfarrers Christoph Buff in Steinbach bei Gießen. Dessen Enkelin Charlotte Buff wurde durch ihre Bekanntschaft zu Johann Wolfgang von Goethe das Vorbild für seine Romanfigur Lotte in "Die Leiden des jungen Werthers".

Oberschultheiß Johann Peter Rübsamen (geb. 1698, gest. 1771) wurde bereits im Zusammenhang mit dem Bericht über die Gerichtsversammlungen in Crainfeld erwähnt, den er 1746 für Johann Konrad Hallwachs verfasste. Sein Sohn Ludwig Wilhelm Heinrich Rübsamen schlug die geistliche Laufbahn ein und wurde 1785 Pfarrer in Crainfeld. Seine Tochter Johanna Margaretha Christina dagegen ehelichte 1761 Johann Heinrich Paul Buff (geb. 1720, gest. 1787), der als Sohn seines Vorgängers sein Nachfolger werden sollte.

Johann Heinrich Paul Buff war der letzte Oberschultheiß, der auch in Crainfeld selbst seinen Sitz hatte. Zugleich bekleidete er das Amt eines Renteiverwalters und Ökonomiekomissars für die Ämter Nidda und Lißberg. Nach seinem Tod im Jahr 1787 wurde das Gericht Crainfeld fortan gemeinsam mit dem benachbarten Gericht Burkhards verwaltet. Als gemeinsamer Gerichtsschultheiß für Crainfeld und Burkhards amtierte jetzt Georg Karl Vogt, der seinen Sitz auf Schloß Zwiefalten bei Eichelsachsen im Gericht Burkhards hatte. In Crainfeld verblieb noch die Renteiverwaltung unter dem Rentamtmann Johann Friedrich Buff, dem ältesten Sohn des Johann Heinrich Paul Buff. Mit der gemeinsamen Verwaltung deuteten sich in gewisser Weise bereits tiefgreifende Reformen in der Verwaltung an, die aber erst nach den Umwälzungen der napoleonischen Zeit umgesetzt werden sollten.

Das Ende für das Gericht Crainfeld und die aus dem Mittelalter überkommene Ämterstruktur kam mit der Einteilung des Großherzogtums Hessen in Landrats- und Landgerichtsbezirke mittels einer Verordnung vom 14. Juli 1821. Hierdurch wurden auch Verwaltung und Justiz, anders als bei den mittelalterlichen Gerichten und Ämtern, voneinander getrennt. Crainfeld sowie Grebenhain und Bermuthshain gehörten fortan zum Landratsbezirk Schotten und zum Sprengel des dortigen Landgerichts, Ilbeshausen zum Landratsbezirk Herbstein und zum Sprengel des Landgerichts Altenschlirf.

Der Edelhof in Crainfeld

Wohl sämtliche Schultheißen des Gerichts Crainfeld wohnten und amtierten in einer stattlichen Hofreite im Herzen des Ortes, unmittelbar gegenüber der Kirche, die unter dem Namen "Edelhof" über die Region hinaus bekannt geworden ist und in der Architektur- und Kunstgeschichte heute einen festen Platz hat.

Das heute dort stehende Fachwerkhaus stammt aus dem Jahr 1685, doch spricht sein alter Keller, der in seiner Ausrichtung erkennbar von dem darüber errichteten Gebäude abweicht, dafür, dass der jetzige Edelhof einen oder auch mehrere Vorgängerbauten an gleicher Stelle aufwies. Durch die Notizen des Crainfelder Pfarrers Dippelius, die sein Nachfolger Köhler bewahrte, ist belegt, dass das Amtshaus in Crainfeld bei der Plünderung und Zerstörung des Ortes am 1. Juni 1622 als erstes zerstört wurde. Anlass dafür soll gewesen sein, dass sich Oberst Graf Wolfgang Ernst von Isenburg-Büdingen, Befehlshaber eines Reiterregiments im Herr Herzog Christians von Braunschweig-Wolfenbüttel, an dem Crainfelder Förster und Marschkommissarius Velten Petri rächen wollte und aus Wut über dessen Flucht das Amtshaus ausplündern und anzünden ließ.

Der Edelhof auf einer um 1900 entstandenen Postkarte.

Sehr wahrscheinlich ist das Schultheißenhaus in den Jahren nach 1622, ähnlich wie auch die Kirche, alsbald wiederaufgebaut wurden. Als sich in den Jahrzehnten nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges allmählich wieder ein gewisser Wohlstand einstellte, wurde dieser "alte" Edelhof womöglich von dem in den 1680er Jahren amtierenden Oberschultheiß Heinrich Christoph Ellenberger als nicht mehr "standesgemäß" genug empfunden. Er könnte dem örtlichen Pfarrhaus ähnlich gewesen sein, dass sich stilistisch in die Jahre des Wiederaufbaus von Crainfeld nach der Zerstörung 1622 datieren lässt.

Wer der Zimmermann des 1685 entstandenen außergewöhnlichen Fachwerkbaus war, ist an keiner Stelle überliefert. Zeitgenössische Bauakten oder ähnliche Zeugnisse sind nicht erhalten. Der Edelhof weist auch keine Bauinschrift auf, in der der an dem Bau tätige Zimmermann genannt wird. Dagegen ist das Baujahr 1685, eingeschnitzt an dem obersten Balken am Giebel, sicher belegt. Gleiches gilt für den Bauherrn Heinrich Christoph Ellenberger, der mit seinen Initialen HCE unter der lateinischen Inschrift SI DEUS PRO NOBIS CONTRA NOS ("Wenn Gott für uns ist, wer ist dann gegen uns“) unterhalb des Mittelfensters am Erkervorbau verewigt ist.

Die bis heute verbreitete Zuschreibung des Edelhofs zu einem angeblich aus Lauterbach stammenden Zimmermann namens Hans Muth geht wohl vor allem auf eine Koryphäe der Fachwerkhausforschung zurück, nämlich Prof. Heinrich Walbe (geb. 1865, gest. 1954). Walbe war als Denkmalpfleger für die Provinz Oberhessen mehr als 30 Jahre mit dem Edelhof befasst. Bereits kurz nach seinem Amtsantritt und dem Inkrafttreten des damals beispielhaften hessischen Denkmalschutzgesetzes im Jahr 1902 wurden sowohl der Edelhof als auch die Teufelsmühle in die Denkmalliste des Großherzogtums aufgenommen. Bereits 1889 machte Carl Schäfer (geb. 1844, gest. 1908) den Edelhof und die Teufelsmühle in seinem grundlegenden Werk Die Holzarchitektur Deutschlands vom XIV. bis XVII. Jahrhundert erstmals einem überregionalen Publikum bekannt.

Auch im Fall der Teufelsmühle ist ein Hans Muth nur insofern schriftlich überliefert, als dass er 1688 als Patenonkel des Mühlenbesitzers Hans Velten Usinger im Kirchenbuch Erwähnung findet. Die Teufelsmühle weist genau wie der Edelhof keine Bauinschrift mit dem Namen des Zimmermanns auf, nur das eingeschnitzte Baujahr. Augenscheinlich hat die in beiden Fällen außergewöhnlich reiche Ausgestaltung des Fachwerks, neben einigen stilistischen Ähnlichkeiten und der nahezu gleichen Entstehungszeit, die Veranlassung dazu gegeben, beide Gebäude ohne tatsächliche Belege dem gleichen Zimmermeister zuzuschreiben.

Von der grundlegenden Bauweise her entspricht der Edelhof einem Wohn-Stall-Haus und damit der in der Region bis zur Durchsetzung des Einhauses etwa zu Beginn des 18. Jahrhunderts üblichen Hofform. Hierbei befanden sich mit Ausnahme der abseits stehenden Scheune alle Funktionen nacheinander unter einem Dach. Dies waren im Erdgeschoss die Wohnstube, der Flur (mundartlich Ern) mit der Küche im hinteren Teil und der Wirtschaftsbereich bzw. Stall. Beim Edelhof kam aber noch ein besonderer erkerartiger Vorbau hinzu. Im Obergeschoß verfügte der Edelhof ursprünglich über einen durchgehenden Gang, entlang dem auf beiden Seiten die Räume lagen und der in die "Gerichtsstube“ im Erkervorbau mündete.

Charakteristisch für den Edelhof ist das reich ausgeschmückte Fachwerk an der West und Nordseite des Obergeschosses. Es weist zum Hof und zur Kirche hin. Nicht zuletzt war es für Reisende, die auf den alten Landstraßen aus Richtung Vaitshain, Grebenhain und Nieder-Moos daran vorbeikamen kamen, deutlich sichtbar, ein zweifellos gewollter Effekt. Ansonsten ist das Haus vollständig verschindelt. Das sichtbare Fachwerk im Obergeschoss ist nur an den Eckständern durch "Männer“ oder "Mannfiguren“ verstrebt. Die Brüstungsgefache sind mit Rauten verziert, im Giebeldreieck dagegen mit Andreaskreuzen. Diese Gestaltungsdetails, die sich in mehr oder weniger gröberer Form auch an anderen Fachwerkbauten aus dem 17. und 18. Jahrhundert im Vogelsberg finden lassen, orientieren sich möglicherweise an zeitgenössischen Musterbüchern, wie insbesondere dem 1668 von Johann Wilhelm in Frankfurt am Main veröffentlichten Werk Architectura civilis.

Bedeutsam für die Gesamtwirkung des Baus sind vor allem die Schnitzereien an den Eckständern und Brustriegeln sowie den darunter befindlichen Konsolen. Hierbei handelt es sich zumeist um Tiere und Fabelwesen. Es wird mittlerweile angenommen, dass diese sich wie ein Musterbuch der zeitgenössischen Gestaltung des Fachwerks zu lesenden Schnitzereien wohl von einem wandernden Handwerker geschaffen wurden.

Auf die ursprünglichen Besitzer des Edelhofes weist die Figur einer Justitia mit Schwert und Waage hin. Ein weiteres interessantes Detail ist die Eckfigur am vorderen Eckpfosten des Oberstocks. Sie stellt einen Landsknecht mit Hellebarde und Wappen dar. Bei dem heute dort zu sehenden Eckpfosten handelt es sich jedoch um eine 1909 angefertigte originalgetreue Kopie, nachdem das Original durch Regenwasser Schaden erlitten hatte. Der alte Pfostenrest wurde ins Heimatmuseum im Hohhauspalais in der Kreisstadt Lauterbach gebracht und ist dort nach Kriegsende 1945 bei der mehrwöchigen Besetzung des Hohhauses durch befreite polnische Kriegsgefangene vernichtet worden.

So wie zum Crainfelder Pfarrhaus ein ganzer Wirtschaftshof mit Scheune und Backhaus gehörte, so verfügte auch der Edelhof wohl von Beginn an über landwirtschaftliche Nebengebäude. Die älteste örtliche Schriftquelle, in der der heutige Edelhof aufgeführt wird, ist das im Jahr 1722 aufgestellte Grundbuch. Hierin werden als Besitz der Familie Ellenberger, jedoch zur Lehe gehörig, genannt: Ein Hauß. Ein Scheuer. Ein Gaden. Ein Schweinstall. Nachfolgend werden als Erb Hofreith der Ellenberger noch Ein Backhaus und Ein Brauhaus aufgeführt. Letzteres befand sich als Teil einer Gastwirtschaft an der Straße durch Crainfeld am Standort der heutigen Volksbank-Zweigstelle. Bis zum ersten Drittel des 18. Jahrhunderts gehörte auch die Mühle im Dorf (späterer Hausname Krommese) zum Familieneigentum der Ellenberger.

Die vermutlich im 18. Jahrhundert entstandene Tür des Edelhofs.

Am 5. August 1822 starb Johann Sebastian Brückner, fürstlicher Landkommissar, der durch seine Ehe mit Johanna Henriette Friderike Ellenberger zum Eigentümer des Edelhofes geworden war. Seine Bedeutung als Amtshaus hatte das Gebäude aber schon mit der Auflösung des Gerichts zum 14. Juli 1821 verloren. Ohnehin hatte seit 1787 kein Schultheiß des Gerichts mehr dort gewohnt. 1825 und 1826 wurden noch brauchbare Akten aus dem Nachlass des Rentamtmanns Johann Friedrich Buff ausgeschieden und nach Schotten, dem Sitz des neu eingerichteten Landratsbezirks, und Bingenheim abgeliefert.

Im Jahr 1820 wurde für Crainfeld auch ein neues Steuerkataster angelegt, in dem der Edelhof ebenfalls aufgeführt ist. Das Anwesen ist darin beschrieben als: Ein Wohnhaus, zwei Stock. A) Ein Stallbau. B) Eine Scheuer. In dem gleichen Dokument ist für das Jahr 1831 ein Besitzwechsel belegt. Von den Erben des Landkommissars Brückner wurde der Edelhof, nach Jahrhunderten als Wohnsitz der örtlichen Oberschultheißen, an den Crainfelder Schmied und Beigeordneten Heinrich Schmalbach I. verkauft.

Im Jahr 1850 eröffnete dann Heinrich Schmalbach II., als Sohn des Heinrich Schmalbach I., in dem Gebäude eine Gastwirtschaft. Zu diesem Zweck wurde im Obergeschoss vom Ern bis zur Scheuer ein großer Saal eingerichtet, wozu mehrere Zwischenwände im oberen Stockwerk entfernt wurden. Der Saal war von außen über einen Treppenaufgang von der Scheune aus zu erreichen. Da für den Einbau des Saals tragende Zwischenwände herausgenommen werden mussten, wurde über dem Saal ein Sprengwerk angebracht.

Die Nutzung des Edelhofs als Gasthaus sollte indes nur eine Episode bleiben und bereits 1870 wieder beendet werden. In diese Zeit fällt jedoch ein besonderes historisches Ereignis. Am 5. Juli 1866, während des Deutschen Krieges zwischen Preußen und Österreich und ihren Verbündeten, wurden auch die Crainfelder zu Zeugen des Kriegsgeschehens. An diesem Tag marschierte das VIII. Deutsche Bundeskorps – bestehend aus badischen, württembergischen und großherzoglich-hessischen Truppen – auf seinem Rückzug zum Main durch den Vogelsberg. Der Stab des Korps quartierte sich für einen Tag in Crainfeld ein. Sein Oberbefehlshaber, Prinz Alexander von Hessen, logierte im Gasthaus von Heinrich Schmalbach II..

Heinrich Schmalbach II. war nicht nur Gastwirt, sondern bis zum Jahr 1876 für drei Jahrzehnte auch Bürgermeister von Crainfeld. Durch diese Tatsache erlangte der Edelhof in gewisser Weise, wenngleich nur auf den Ort beschränkt, seine alte Bedeutung als Verwaltungssitz zurück. Dies umso mehr, als dass auch der Sohn von Heinrich Schmalbach II., Heinrich Schmalbach IV., im Jahr 1876 zum Bürgermeister der Gemeinde Crainfeld gewählt wurde. Zugleich erlangte er auch ein Mandat als Abgeordneter in der zweiten Kammer der Landstände des Großherzogtums Hessen. Mit seinem Namen verbunden sind der Bau der Wasserleitung im Jahr 1895 und des neuen Schulhauses, das 1907 eingeweiht wurde.

Noch einmal wurde der Edelhof Sitz der Crainfelder Bürgermeisterei. Im Mai 1952 wurde Karl Schmalbach II., der Enkel des Landtagsabgeordneten, durch die Gemeindevertretung von Crainfeld zum Bürgermeister gewählt, nachdem er dieses Amt bereits in den beiden letzten Jahren des Zweiten Weltkrieges ausgeübt hatte. An ihn, der mitten in seiner Amtszeit im April 1964 verstarb, erinnert heute die Karl-Schmalbach-Straße im Crainfelder Neubaugebiet. Der Edelhof gehört auch heute noch in der achten Generation den Nachfahren jenes Heinrich Schmalbach I., der das Gebäude im Jahr 1831 erworben hatte.

Seit seiner Unterschutzstellung unter Denkmalschutz wurde der Edelhof mehrfach restauriert. Zuletzt erfolgte im letzten Quartal des Jahres 2016 eine besonders gründliche Ausbesserung und Restaurierung. Dabei wurden das Fachwerk und die Schnitzereien nach vorheriger Sicherung von Farbbefunden komplett mit einem neuen Anstrich versehen. Weiterhin wurden ein Teil der Verschindelung erneuert und durchgehend wieder Sprossenfenster eingebaut. Auch die in der Vergangenheit durch Modernisierungen veränderte Rückseite wurde wieder dem historischen Erscheinungsbild angepasst.