Die Jüdische Gemeinde Crainfeld

Neben seiner Eigenschaft als Sitz einer Pfarrei und eines Gerichts sowie der Lage an einer zeitweise überregional wichtigen Handelsstraße war Crainfeld mehr als dreihundert Jahre lang dadurch geprägt, dass es das Zentrum einer jüdischen Gemeinde war, die Ende des 19. Jahrhunderts mehr als ein Fünftel der Einwohnerschaft ausmachte. Ihr gewaltsames Ende ereignete sich zwischen 1933 und 1938 im "Zwölfjährigen Reich" der Nationalsozialisten.

Die jüdische Gemeinde in Crainfeld war eine der vielen Landgemeinden, wie sie für das deutsche Judentum vom späten Mittelalter bis weit in das 19. Jahrhundert typisch waren. Ursprünglich hatten die Juden in Deutschland, nachweisbar seit spätrömischer Zeit, ausschließlich in den großen Städten, insbesondere im Rheinland. Seit dem Ersten Kreuzzug (1096-1099) waren sie dort zunehmend Pogromen aufgesetzt. Zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert wurden Juden aus vielen Landesherrschaften und Reichsstädten vollständig vertrieben. Viele flohen aus dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation nach Osteuropa, insbesondere nach Polen. Andere ließen sich auf dem Land nieder, wo sie von einigen der vielen kleinen Landesherren im territorial zersplitterten Deutschland gegen hohes "Schutzgeld" aufgenommen oder geduldet wurden.

Im heutigen Vogelsbergkreis haben in der Stadt Alsfeld nachweislich schon im 14. Jahrhundert Juden gelebt. Ulrichstein erhielt bei seiner Erhebung zur Stadt durch Kaiser Ludwig IV. im Jahr 1347 das Recht, dort sechs Juden zu "halten", doch es ist unklar, ob davon Gebrauch gemacht wurde. 1578 wohnten bereits zwei jüdische Einwohner in Nieder-Ohmen, 1599 einige auch in der Stadt Schotten. Die meisten lebten eher bescheiden als Viehhändler oder Hausierer. Vom Handwerk und der Landwirtschaft waren sie ausgeschlossen.

Der jüdische Friedhof oberhalb der Straße von Crainfeld nach Bannerod heute.

Jüdische Gemeinden, d. h. solche mit mindestens zehn religionsmündigen Mitgliedern, entwickelten sich im Vogelsberggebiet erst nach dem Dreißigjährigen Krieg, vielfach im 18. Jahrhundert. Nachhaltig wirkte sich aus, dass die Freiherren Riedesel zu Eisenbach, ebenso die benachbarten Grafen von Schlitz, als einer der wichtigsten Territorialherren im Gebiet des Vogelsberges Juden die Niederlassung in ihrem Gebiet strikt untersagten und ihnen zeitweise sogar verboten, dort Handel zu treiben. Hinzu kam 1671 die Fürstabtei Fulda, wo unter Fürstabt Bernhard Gustav bis auf fünf Familien in der Judengasse in Fulda sämtliche Juden vertrieben wurden.

Anders verhielten sich die Landgrafen von Hessen-Darmstadt oder auch die Isenburger Grafen. Hier war es Juden erlaubt, sich an bestimmten Orten niederzulassen, freilich nur im niederen Rechtsstatus eines "Schutzjuden" gegen nicht geringe Zahlungen an ihren Landesherren. Von ihren grenznahen Wohnorten wie Grebenau, Storndorf, Lichenroth und eben Crainfeld konnten sie auch im benachbarten Riedeselland Handel treiben, mussten es aber vor Anbruch der Dunkelheit wieder verlassen haben. So bildeten sich die "Judenpfade" heraus, die Wege, auf denen die jüdischen Händler auf schnellstem Weg von ihren Wohnorten zu den Handelsplätzen im Riedeselland und anderswo gelangen und wieder zurückkehren konnten.

Jüdisches Leben in Crainfeld bis 1933

Wann sich die ersten jüdischen Familien in Crainfeld niederließen, ist nicht bekannt. In dem im Februar 1586 fertiggestellten Einwohnerverzeichnis für das Amt Nidda werden jedoch noch keine Juden in Crainfeld erwähnt. Dies geschieht erst im Zusammenhang mit der Zerstörung des Dorfes am 1. Juni 1622 durch die braunschweigischen Söldner. In dem im Jahr 1625 aufgestellten Kriegsschadensverzeichnis für das Oberfürstentum Hessen werden drei jüdische Einwohner von Crainfeld und der ihnen zugefügte finanzielle Schaden genannt. Es waren dies ein Abraham mit 400 Reichstalern, ein Koppel mit 300 Reichstalern und ein Wolph mit 300 Reichstalern.

Auch aus der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg finden sich verstreute Hinweise auf die durchgehende Präsenz von jüdischen Einwohnern in Crainfeld. So verfasste im Jahr 1665 der Jude David zu Crainfeld eine Bittschrift an den riedeselischen Amtmann in Lauterbach wegen eines gegen ihn von zahlreichen Untertanen des Riedesellandes verhängten Handels- und Hausierverbotes. Vom 26. November 1666 datiert eine Zeugenaussage des Juden Nathan zu Crainfeld im Prozess des Johannes Appel gegen den Niklas Stein zu Herchenhain vor dem Schöffengericht Burkhards wegen Brandstiftung.

1702 lebten in Crainfeld zwei jüdische Familien. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts zogen weitere zu, unter anderem aus Nieder-Mockstadt in der Wetterau und aus der Grafschaft Hanau. Im Jahr 1804 hatte Crainfeld 36 jüdische Einwohner von 429 insgesamt. In den folgenden Jahrzehnten nahm ihre Zahl stetig zu. 1859 umfasste die jüdische Gemeinde 65 Personen (von 523 Einwohnern), 1870 insgesamt 85 (von 535 Einwohnern). Im Jahr 1886 hatte Crainfeld schließlich 118 Bürger jüdischen Glaubens bei einer Einwohnerzahl von 518.

In den folgenden Jahrzehnten ging der Anteil jüdischer Einwohner an der Gesamtbevölkerung von Crainfeld aber allmählich wieder zurück. Ein Grund hierfür war die Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation im Vogelsberg, die ebenso mit ursächlich war für den Aufstieg des politischen Antisemitismus in den 1890er Jahren. Zudem wanderten besonders die Jüngeren vielfach in die größeren Städte ab, vor allem nach Frankfurt am Main. Aber auch die jüdischen Gemeinden in den benachbarten Städten wie Lauterbach, Alsfeld, Fulda und Gießen vergrößerten sich durch Zuzug aus den bisherigen Landgemeinden, die dadurch mehr und mehr zusammenschrumpften und sich teilweise schon vor 1933 ganz auflösten.

Bereits im Jahr 1900 lebten in Crainfeld 81 Juden gegenüber 431 Christen. Im Jahr 1910 waren von 482 Crainfeldern noch 68 jüdischen Glaubens. Im Jahr der "Machtergreifung" der Nationalsozialisten, 1933, lebten noch 60 Juden bzw. 15 jüdische Familien in Crainfeld. Hinzu kamen noch drei jüdische Familien in Grebenhain und eine in Bermuthshain, die auch zur Jüdischen Gemeinde Crainfeld gehörten.

Wann die offizielle Konstituierung einer jüdischen Gemeinde in Crainfeld erfolgte, ist nicht bekannt. Zur Bildung einer jüdischen Gemeinde sind aber mindestens zehn im religiösen Sinn mündige Männer notwendig, die nach jüdischem Ritus als "Minjan" zum Sabbatgebet anwesend sein müssen. Die Tatsachen, dass bereits auf dem Crainfelder Parzellhandriss von 1832 bereits der jüdische Friedhof verzeichnet ist und im Jahr 1842 erstmals ein Haus in Crainfeld gekauft und zu einer Synagoge umgebaut wurde, sprechen dafür, dass die Gemeinde schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bestand.

Die jüdische Gemeinde Crainfeld war weithin als eine besonders streng orthodoxe Gemeinde bekannt. Sie war daher auch dem orthodoxen Hessischen Landesverband Israelitischer Religionsgemeinden in Mainz angeschlossen und gehörte zum orthodoxen Bezirksrabbinat Gießen. Der Gottesdienst, zu dem nur Männer zugelassen waren, durfte nur in hebräischer Sprache gehalten werden. Die Mitglieder der "Israelitischen Religionsgemeinde", so die offizielle Bezeichnung, wählten den Gemeindevorstand und auch den durch die Gemeinde selbst besoldeten und von auswärts hierher berufenen Lehrer.

Die jüdischen Lehrer unterrichteten die Kinder in der Religion und waren als Kantor bzw. Vorbeter tätig. Im Jahr 1901/02 betrug das Gehalt des Lehrers 80 Mark jährlich, wovon 92 Mark aus der Kasse der politischen Gemeinde zugeschossen wurde. Mit dem Lehreramt war auch das Schächteramt verbunden. Das Rechneramt wurde vor dem Ersten Weltkrieg im Übrigen durch einen Christen, den örtlichen Zimmermeister Johannes Fritz, ausgeübt, der daneben ebenso als Rechner der Evangelischen Kirchengemeinde amtierte.

Im Jahr 1924 bildeten Jakob Stein, Hermann Lind, Nathan Sommer, Alexander Sommer und Albert Zimmermann den Vorstand der Gemeinde. Der jüdische Religionsunterricht wurde durch den Lehrer Adolf Bauer aus Gedern erteilt, der diese Tätigkeit auch noch für mehrere andere jüdische Landgemeinden in der Umgebung von Gedern ausübte. An religiösen Vereinen bestanden der Männerverein "Chewroh Kadischa" unter dem Vorsitz von Maier Stern und der "Israelitische Frauenverein" unter der Leitung von Auguste Strauß. Beide waren Wohltätigkeits- und Bestattungsvereine. 1932, im Jahr vor der "Machtübernahme" der NSDAP, bestand der Gemeindevorstand aus dem Vorsitzenden Manfred Sommer sowie Max Stein und Leopold Sommer I.. Im Schuljahr 1931/32 nahmen noch elf Kinder am jüdischen Religionsunterricht teil.

Das Verhältnis zwischen der christlichen Bevölkerungsmehrheit und der jüdischen Minderheit war im Ganzen gesehen gut, wenn auch, angesichts der religiösen Unterschiede und deren Einfluß auf den Alltag, eher ein friedliches Nebeneinander als ein wirkliches Miteinander. So wäre die Stellung Crainfelds als lokaler Mittelpunkt von Handel und Gewerbe wäre nicht denkbar gewesen ohne die zahlreichen jüdischen Viehhändler und Geschäftsleute. Fast alle Kaufläden im Ort wurden von jüdischen Einwohnern betrieben, die wiederum ohne die christliche Bevölkerung als Kunde nicht lebensfähig gewesen wären.

Christliche und jüdische Kinder beim gemeinsamen Ringelreigen vor "Hofmanns" an einem Sonntag im Oktober 1927. Von links nach rechts: Marie Ruhl, Berta Sommer, Lina Baumbach, Ottilie Rausch, Elise Herchenröder, Erna Eifert, Frieda Beyer, N.N., Herta Sommer, Marie Dahmer.

Wie zwischen den christlichen Familien selbst war auch im Kontakt mit den jüdischen Familien die gegenseitige Nachbarschaftshilfe selbstverständlich. So war es gebräuchlich, dass die christliche Nachbarin der jüdischen Hausfrau am Sabbat, in der Umgangssprache "Schabbes" genannt, morgens das Feuer im Herd anzündete und im Haushalt tätig war. Die wohlhabenderen jüdischen Familien beschäftigten ein eigenes christliches Dienstmädchen, eine so genannte "Schabbesmagd". Die jüdischen Männer gehörten ganz selbstverständlich auch den örtlichen Vereinen wie dem 1884 gegründeten Männergesangverein "Liederkranz" an und beteiligten sich an den örtlichen Festen.

Besonders eng waren natürlich die freundschaftlichen Beziehungen zwischen direkt benachbarten jüdischen und christlichen Familien, die in manchen Fällen auch nach der erzwungenen Emigration aufrecht erhalten wurden. Alltäglich war auch das gemeinsame Spiel der jüdischen und christlichen Kinder, die ja auch zusammen die örtliche Volksschule besuchten. Obwohl die beiden Gemeinschaften in religiösen Angelegenheiten in der Regel unter sich blieben, fanden einige großen jüdischen Feste auch bei den übrigen Einwohnern Crainfelds Anklang.

Hierzu gehörte die Weihe einer neuen Thora-Rolle am 20. Oktober 1899. Die Sefer-Thora wurde vom Haus des jüdischen Gemeindevorstehers Emanuel Stern in einem Festzug zur geschmückten Synagoge gebracht. Ausdrücklich vermerkte der "Lauterbacher Anzeiger" in seinem Bericht, dass dieses Fest nicht nur von vielen auswärtigen Juden, sondern auch von Christen besucht war. Am Abend fanden dann im (nichtjüdischen) Gasthaus "Zur Eisenbahn" von Heinrich Oechler VII. ein Konzert statt und am darauffolgenden Tag noch ein Festkommers mit Ball.

Ein gesellschaftlicher Höhepunkt im jährlichen Leben der Gemeinde war auch der jährlich stattfindende "Judenball" im Gasthaus "Zum Hessischen Hof", zu dem sich Angehörige jüdischer Gemeinden aus nah und fern einfanden. Dieser war einer der nicht zahlreichen Gelegenheiten für die jüdischen Jugendlichen, gleichaltrige Glaubensgenossen aus anderen Ortschaften und damit potentiell zukünftige Ehepartner kennenzulernen. Der Ball wurde jedoch auch von Christen besucht. Zu Eheschließungen zwischen Juden und Christen ist es in Crainfeld allerdings nie gekommen. Auch in anderen Fällen waren dem Zusammenleben Grenzen gesetzt. So nahmen beispielsweise jüdische Frauen an den damals üblichen Strickkränzchen bzw. Spinnstuben nicht teil.

Während des Ersten Weltkrieges hatte die jüdische Gemeinde Crainfeld insgesamt sieben Gefallene zu beklagen. Es waren: Benjamin Lind (Bermuthshain) am 26. August 1914, Abraham Weinberg (Grebenhain) am 13. Mai 1915, Gustav Sommer (Grebenhain) am 18. Mai 1915, Leopold Zimmermann (Grebenhain) am 25. September 1915, Leopold Sommer II. (Crainfeld) am 23. November 1915, Leopold Stein (Crainfeld) am 21. Juli 1917, Gustav Sommer (Crainfeld) am 28. Juli 1917. Ihre Namen sind bis heute auf den Kriegerdenkmalen der jeweiligen Orte vermerkt. Bei der Einweihung des Crainfelder Kriegerdenkmals im Jahr 1921 sprach der damalige jüdische Lehrer Stern die Einweihungsrede und übergab das Denkmal an die Gemeinde.

Massiv und langfristig nachhaltig beeinträchtigt wurde das Verhältnis zwischen Christen und Juden in Crainfeld aber durch die Antisemitenbewegung seit den 1880er Jahren. Ihr Aufstieg wurde verursacht durch eine große wirtschaftliche Strukturkrise, in der sich die klein- und mittelbäuerliche Landwirtschaft im heutigen nord- und mittelhessischen Raum damals befand. Bedrängt von billigen ausländischen Getreideimporten und der zunehmenden Industrialisierung bei kaum vorhandener eigener Erfahrung in der liberalen Marktwirtschaft, waren viele Landwirte und Handwerker hoch verschuldet und verarmt. Das Kredit- und Genossenschaftswesen war noch unzureichend entwickelt. So lieh sich mancher gegen hohe Zinsen Geld bei einem privaten Geldverleiher. Diese waren in Oberhessen, genau wie die Viehhändler, sehr häufig (aber keineswegs ausschließlich) jüdischen Glauben. Alte Vorurteile, noch aus dem Mittelalter überkommen, wurden fortan neu gepflegt und kultiviert und das Judentum zum allgemeinen Sündenbock für weitaus komplexere Probleme gemacht.

Hetzartikel im "Lauterbacher Anzeiger" vom 3. Januar 1939, rund zwei Monate nach dem Novemberpogrom. Er beschreibt die Vorgänge um den als "Güterschlächter" verrufenen jüdischen Viehhändler David Sommer III. aus Crainfeld in den 1880er Jahren aus nationalsozialistisch-antisemitischer Sicht und wurde anscheinend von einem örtlichen NS-Aktivisten verfasst und eingesandt.

1887 zog der Antisemit Otto Böckel nach dem Wahlsieg im preußischen Wahlkreis Marburg-Kirchhain für die Antisemiten in den Reichstag ein. Vom preußischen Kurhessen breitete sich die Böckelbewegung auch in die benachbarte hessische Provinz Oberhessen aus. Bei den Reichstagswahlen 1890 siegte der Antisemit Oswald Zimmermann im Wahlkreis Alsfeld-Schotten-Lauterbach mit einer Mehrheit mit 70,5%. 1893 folgte ihm Friedrich Bindewald, der im Landkreis Lauterbach mit 54,2% für die Antisemiten errang. Bindewald sollte bis zur Reichstagswahl 1912 der Reichstagsabgeordnete des Wahlkreises bleiben.

Aus Crainfeld ist überliefert, dass Otto Böckel, der bekannte Agitator der Antisemiten in Kurhessen, einmal seinen Anhängern in Crainfeld versprochen hätte, den Ort zu besuchen. Da dies jedoch nicht geschah, wagte es dann ein ein Jude, sich als "Böckel" zu verkleiden und in Crainfeld "Einzug" zu halten, was einige Crainfelder Böckelanhänger dazu veranlasste, es ihm mit Prügel heimzuzahlen. In den 1880er Jahren wurde an dem Haus des unter der christlichen Bevölkerung besonders verhassten Viehhändlers und Geldverleihers David Sommer III. am nördlichen Ortsende an der Cent, der als sogenannter "Güterschlächter" galt und beschuldigt wurde, bäuerliche Familien durch Kredite vorsätzlich in den Ruin getrieben zu haben, die Fensterscheiben eingeworfen. David Sommer III. verließ wenig später den Ort und zog nach Schlüchtern. Er soll schließlich des Wuchers und Betrugs angeklagt worden sein und im Gefängnis Selbstmord begangen haben. Zeitweise sollen sogar jüdische Geschäfte in Crainfeld von den christlichen Dorfbewohnern boykottiert worden sein.

Die in sich häufig zerstrittene antisemitische Bewegung trat unter den verschiedensten Bezeichnungen an: 1890, 1893 und 1898 als "Antisemitische Volkspartei", 1903 als "Deutsch-Soziale Reformpartei", 1907 als "Deutsche Reformpartei" und 1912 als "Wirtschaftliche Vereinigung". In der Weimarer Republik ging sie in dem 1919 gegründeten Hessischen Bauernbund (ab 1927 Hessischer Landbund) auf. Diese Partei war die dominierende politische Bewegung in der Region bis zum Aufkommen der Nationalsozialisten. Die antisemitischen Parteien errangen in den Vogelsbergdörfern vor dem Ersten Weltkrieg stets überragende Wahlerfolge. In Crainfeld konnten sie bei den Wahlen zum Reichstag 1890 159 von 291 Stimmen und 1898 79 von 101 Stimmen sowie noch einmal 1907 74 von 124 Stimmen erringen, unterlag jedoch dann meist knapp den Nationalliberalen. Dennoch war eine verhängnisvolle Grundlage gelegt, auf der die Nationalsozialisten später nur noch aufzubauen brauchten.

Die Crainfelder Synagoge

Mit Sicherheit hielt die jüdische Gemeinde Crainfeld schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts regelmäßige Gottesdienste ab, die wahrscheinlich in jüdischen Privathäusern stattfanden, wie dies bei vielen sehr kleinen jüdischen Landgemeinden anfangs üblich war. Im Jahr 1842 kaufte die Gemeinde dann ein bereits bestehendes Haus, das sie zur Synagoge umbauen und einrichten. Es handelte sich dabei bereits um ein reines Wohnhaus von zwei Stock, das zuvor dem Leinweber Johann Heinrich Bachmann gehört hatte. Standort war eine Seitengasse der heutigen Kreuzstraße, gelegen zwischen der Jeegels Hofreite und dem Edelhof, in unmittelbarer Nachbarschaft zum damaligen Schulhaus.

Den Betrag von 355 Rth. für den Kauf und etwa 150 Rth., die für den Umbau nötig waren, brachten die Gemeindemitglieder selbst und durch ein Darlehen auf. Das Gebäude diente nahezu vier Jahrzehnte als Synagoge, bis die jüdische Gemeinde dann 1885 an gleicher Stelle eine neue Synagoge erbauen konnte, die von vornherein für diesen Zweck geplant war. Ermöglicht wurde dies durch eine Stiftung von 300 fl. aus dem Vermächtnis des Kommerzienrates Heinemann in Kopenhagen, welcher testamentarisch 25.000 Taler zur Erbauung neuer Synagogen und Mikwen gestiftet hatte.

Die neue Crainfelder Synagoge, von der bis heute kein detailliertes Bild vorliegt, war ein freistehendes verschindeltes Fachwerkgebäude mit einer Grundfläche von etwa 6 x 8 Metern auf dem 87 qm großen Grundstück der Vorgängerhofreite. Sie hatte ein Satteldach mit der Traufseite zur Straße und einen Eingang an der Giebelseite. Das Gebäude umfasste den Synagogensaal mit Empore und zwei Stuben, von denen die eine für den religiösen Unterricht der Kinder und für Aufgaben der Gemeinde diente, während das zweite Zimmer an eine Frau vermietet war.

Ansicht von Crainfeld vom Märzwiesenweg in den 1930er Jahren. Die Synagoge ist hier von weitem zu erkennen. Man findet sie in der rechten Bildhälfte rechts von der Crainfelder Kirche und den Fichten als Gebäude mit heller Schindelung, an das sich die Hofreite "Jeegels" mit dunklen Schindeln anschließt.

Für die Plätze in der Synagoge hatte jedes Gemeindemitglied ein Standgeld zu entrichten, das für die auswärtigen Juden aus Bermuthshain, Grebenhain und Nieder-Moos pro Jahr 4,20 Mark betrug. Die Inneneinrichtung bestand aus einem Thoraschrein, einem Predigtpult (Kanzel), einem Betpult für den Rabbiner, einem Betpult für den Vorbeter (Kantor) und Gestühl für 57 Mitglieder. An der Traufseite zur Straße hin befanden sich zwei große rechteckige Fenster mit Rundbogenabschluss für den Synagogensaal. Sie trugen mit dazu bei, dass die Synagoge auch äußerlich als solche zu erkennen war.

Wie alle Crainfelder Häuser verfügte auch das Synagogengebäude seit dem Jahr 1921 über elektrisches Licht. Erwähnenswert ist, dass der Lichtschalter in der Synagoge aus religiösen Gründen während des Sabbats nicht von einem Mitglied der jüdischen Gemeinde betätigt werden durfte, da dies als Arbeit angesehen wurde, welche an einem Sabbat verboten ist. Daher betätigten in der Regel christliche Nachbarskinder gegen ein kleines Entgelt den Lichtschalter. Wie bei orthodoxen Synagogen üblich, wohnten die jüdischen Frauen dem Gottesdienst, der nur in hebräischer Sprache gehalten wurde, getrennt von den Männern von der Empore der Synagoge aus bei.

Im Jahre 1932 wurde das Gebäude für 1.600 RM renoviert. Im Zuge der Auflösung der Gemeinde im Jahr 1936 wurde der Verkaufswert der Synagoge vom Gemeindevorstand auf 1.500 bis 2.000 RM geschätzt. Eine Besichtigung durch den Landesverband ergab zudem, dass das Gebäude noch in sehr gutem Zustand sei und bequem in ein Wohnhaus umgebaut werden könne. Im Widerspruch dazu, möglicherweise absichtlich, bezeichnete ein Protokoll vom 11. Oktober 1937 die Synagoge, wozu ein zweitüriger Schrank gehöre (hiermit dürfte vermutlich der Thoraschrein gemeint sein), als "abbruchreif". Nach der Übergabe des Gemeindevermögens an den Landesverband wurde der Einheitswert der Synagoge mit 690 RM angegeben.

Während der Pogromnacht vom 9. November 1938 wurden an der leerstehenden Synagoge von SA-Leuten die Fenster und Türen eingeschlagen und im Innenraum das Gestühl zerstört. Das Gebäude wurde nur deswegen nicht in Brand gesteckt, wie eigentlich beabsichtigt, weil es direkt an das Nachbarhaus Jeegels angrenzte. Die Kultgegenstände aus der Synagoge waren bereits zuvor nach Gießen in die dortige orthodoxe Synagoge in der Steinstraße gebracht, dort aber ebenfalls beim Pogrom vernichtet worden. Die Schäden am Gebäude wurden später auf 25 bis 30% beziffert, es war aber noch in gutem Zustand.

1941 erfolgte der Verkauf der Synagoge an einen Privatmann zum Zweck des Abbruchs, der sich durch den Zweiten Weltkrieg hinauszögerte. Bis 1947 stand das Gebäude leer. Nach einem jahrelangen Prozess zwischen dem Erstkäufer und der Jewish Restitution Successor Organization (JRSO) wegen der Wiedergutmachung wurde die Synagoge abgebrochen. An ihrer Stelle entstanden Garagen, die zwischenzeitlich aber auch wieder abgerissen wurden. Heute erinnert vor Ort nichts mehr an das jüdische Gotteshaus.

Das rituelle Tauchbad (Mikwe)

Nach jüdischer Tradition suchen verheiratete Frauen monatlich einmal nach Menstruation oder Entbindung ein Bad auf, die sogenannte Mikwe. Zweck dieses Bades ist nicht das Erlangen hygienischer, sondern allein ritueller Reinheit. Das reinigende Wasser muss aus Quell-, Grund- oder Regenwasser bestehen und verliert seine Wirkung, wenn es in ein Gefäß geschöpft wird. Auch neu angeschaffte Kultgegenstände müssen vor ihrer Benutzung in einem Kultbad gereinigt werden. In orthodoxen Gemeinden, wie es die Crainfelder war, wird die Mikwe auch von Männern vor Beginn des Sabbats oder von Feiertagen zum Untertauchen benutzt.

Im Jahr 1879 errichtete die jüdische Gemeinde Crainfeld aus Mitteln der Stiftung des bereits erwähnten Kommerzialrats Heinemann eine Mikwe, nachdem sie bereits am 19. Juni 1869 ein Grundstück in der Märzwiese zum Preis von 120 fl. erworben hatte. Zuvor hatte sich das rituelle Tauchbad in einem Keller befunden, möglicherweise dem eines Privathauses. Die Crainfelder Mikwe wurde im Volksmund und auch amtlich im Brandkataster als Badehaus bezeichnet. Dieses Badehaus war ein sehr kleiner Fachwerkbau mit nur 1 x 2 Metern Grundfläche und steinernem Fundament. Es enthielt das eigentliche Tauchbecken, einen Ofen zur Heizung und einen Wasserabfluss zum Mühlgraben. Das Wasser zum Gebrauch im Bad wurde ebenfalls dem Mühlgraben entnommen, was bei den zuständigen Behörden auf nicht geringe hygienische Bedenken stieß.

Der Standort der Mikwe befand sich am Ende der kleinen Seitengasse zwischen den Hofreiten Brandeweis und Jeckels, etwa 100 m von der Synagoge entfernt. Im Jahr 1910 wurde das Badehaus auf Anordnung des orthodoxen Provinzialrabbiners Dr. Hirschfeld in Gießen neu wiederhergestellt, wobei sich die Kosten auf 745 M beliefen. 1935 erfolgte im Rahmen der Flurbereinigung die Neuanlage des heutigen Märzwiesenweges, wobei die Mikwe abgebrochen wurde. Da der Abbruch in die NS-Zeit fiel, kann nicht ausgeschlossen werden, dass er willkürlich und rein politisch motiviert erfolgte.

Der jüdische Friedhof

Nach der Vertreibung der jüdischen Gemeinde und der Ermordung vieler jüdischer Crainfelder in der NS-Zeit sowie dem Abbruch von Synagoge und Mikwe ist heute der jüdische Friedhof das einzige sichtbare Zeugnis von mehr als dreihundert Jahre währendem jüdischem Leben in Crainfeld. Er liegt inmitten von landwirtschaftlich genutztem Gelände auf einer Anhöhe nördlich der Kreisstraße von Crainfeld nach Bannerod, im Sommer etwas hinter Hecken verborgen.

Der genaue Zeitpunkt der Entstehung des jüdischen Friedhofs liegt im Dunklen. Es ist denkbar,dass die ersten jüdischen Einwohner von Crainfeld noch auf den Friedhöfen auswärtiger jüdischer Gemeinden bestattet wurden. Die ältesten erhaltenen Grabsteine sollen aus der Zeit um 1820 stammen. Wie für dörfliche jüdische Friedhöfe üblich, entstand auch der Crainfelder Friedhof weit außerhalb des Dorfes, nahe der Gemarkungsgrenze. Erstmals ist er auf dem 1832 entstandenen Parzellhandriss der Gemarkung Crainfeld zu erkennen. Für das Jahr 1858 ist eine Erweiterung des Friedhofes belegt, wodurch dieser seine jetzige Größe erhielt.

Grabstein des Aron Feist Stein (gest. 1898) mit den Symbolen der "Kohanim".

Am 3. Februar 1858 verkauften der christliche Ortsbürger Konrad Strauch II. und seine Ehefrau Margaretha geb. Laufer der Israelitischen Gemeinde zwei Grundstücke, einen Acker am Haselacker neben Sebastian Schäfer von 13 Quadratklafter und einen Acker neben dem "Judenacker" (Jüdischer Friedhof) von 7 Quadratklafter zum Preis von 30 Gulden. Die Übergabe der Grundstücke geschah unter der Bedingung, dass die jüdische Gemeinde nach der Aberntung Fuhren von Denkmälern oder anderen Materialien auf den Totenhof neben seinem Grundstück außer dem Pfad fahren durfte.

Wenn ein jüdischer Bürger Crainfelds verstarb, wurde der Sarg durch Verwandte und Freunde selbst zusammengenagelt. Es war eine einfache rechteckige und hölzerne Kiste. Der Verstorbene wurde gewaschen und anschließend in den Sarg gelegt. Für den weiteren Weg wurde ein kleiner Beutel mit Geld zugegeben, dass als "Zehrgeld" dienen sollte. Zur Beerdigung wurde der Sarg mit dem Verstorbenen mit Hilfe von sechs Mitgliedern der Gemeinde zum Friedhof getragen. Die Särge von Juden, die Untaten begangen hatten, durften übrigens nicht durch die Friedhofspforte getragen, sondern mussten über die Mauer gehoben werden.

Ein Christ durfte den Friedhof selbst während einer Beerdigung nicht betreten, aber außerhalb davor stehen. Im Trauerzug gingen der jüdische Lehrer sowie Verwandte und Freunde mit. Wie bei den Christen wurde schwarze Trauerbekleidung getragen. Der jüdischen Tradition entsprechend markierte nur ein Grabstein die Begräbnisstätte, eine besondere Grabpflege oder Grabschmuck wie bei christlichen Friedhöfen waren (und sind) nicht üblich.

Der jüdische Friedhof von Crainfeld hat die Form eines unregelmäßigen Rechtecks mit einem Flächeninhalt von 1100 qm. Wie bei jüdischen Begräbnisstätten üblich, sind die dicht aneinander stehenden Grabsteine mit der Vorderseite nach Osten (in Richtung Jerusalem) ausgerichtet. Insgesamt befinden sich dem Friedhof heute 75 Grabsteine, welche in 10 Reihen angeordnet sind. Die meisten von ihnen sind der Tradition jüdischer Grabsteine seit dem Mittelalter entsprechend in Stelenform gehalten mit einem oben abschließenden Halbbogen oder Giebel. Die ältesten Grabsteine (in den ersten beiden Reihen) verfügen nur über eine hebräische Inschrift. Erst ab etwa 1870 wurde, zunächst nur auf der Rückseite, eine deutsche Inschrift hinzugefügt. Die jüngeren Steine sind auf der Vorderseite hebräisch und darunter deutsch beschriftet. Lediglich der zuletzt gesetzte Stein verfügt über keine hebräischen Schriftzeichen.

Die hebräischen Inschriften gleichen sich im Schema und nennen außer dem Namen des Toten und dem Todesdatum (nach jüdischer Zeitrechnung) sowie einem Lobvers auf den Verstorbenen keine genauen Lebensdaten. Auf einigen Grabsteinen sind Symbole zu sehen, wie Sonnen, sechs- und achteckige Sterne, segnende Hände und das Schofarhorn. Die segnenden Hände stehen für die Zugehörigkeit des Verstorbenen zu den Kohanim, die ihre Abstammung auf die ersten jüdischen Priester zurückführen. Das Schofarhorn soll anzeigen, dass der Verstorbene in der Gemeinde das Ehrenamt des Schofarbläsers in der Gemeinde innehatte. Dieses Instrument wird im Judentum zur Ankündigung hoher religiöser Festlichkeiten verwendet.

Im Jahr 1937 erfolgte die letzte Beerdigung auf dem jüdischen Friedhof, die des Götz Zimmermann aus Grebenhain. Während der NS-Zeit ist es wiederholt zu Schändungen auch der Grabstätten der jüdischen Crainfelder gekommen. So haben 1937/38 Angehörige der Hitlerjugend aus Crainfeld mehrere Grabsteine umgestürzt. Möglicherweise gehen auch die heute noch sichtbaren Beschädigungen einzelner Grabsteine, wie z. B. fehlende Grabplatten, auf diese Zeit zurück. Besonders viele der jüngeren Grabsteine wurden umgeworfen und erst im Jahr 2005 wieder aufgerichtet. In einem Protokoll über das Vermögen der jüdischen Gemeinde vom 11. Oktober 1937 wurde der jüdische Friedhof als "wertlos" bezeichnet, weil die Fläche in den nächsten 20 Jahren nicht als Wirtschaftsgelände genutzt werden könne.

Anders als an vielen anderen Orten, auch in Hessen, blieb der Friedhof aber von einer völligen Zerstörung verschont. Heute obliegt die Verantwortung für die Instandhaltung des Friedhofes der Großgemeinde Grebenhain. 1992/93 erfolgte eine Dokumentation des Friedhofes und der Inschriften der Grabsteine durch eine Schulklasse der Oberwaldschule Grebenhain.

Die jüdischen Familien und ihre Häuser

Anfang 1933 bestand die jüdische Gemeinde Crainfeld aus 18 Familien, von denen 15 am Sitz der Gemeinde in Crainfeld wohnten sowie zwei Familien im Nachbardorf Grebenhain und eine im ebenfalls benachbarten Bermuthshain. Wie es für jüdische Landgemeinden traditionell üblich war, lebten diese Familien überwiegend vom Viehhandel oder von einem Ladengeschäft. Daneben gab es aber auch zwei Metzger und sogar einen Gastwirt. Zur Selbstversorgung betrieben alle jüdischen Familien, wie die christlichen Dorfeinwohner auch, noch etwas Landwirtschaft. Sie wohnten über das gesamte Dorf verstreut. Eine regelrechte "Judengasse", wie sie etwa in Angenrod bei Alsfeld vor der rechtlichen Gleichstellung existiert hat, hat es in Crainfeld nie gegeben.

Die drei im Grundsteuerkataster von 1820 aufgeführten Häuser mit jüdischen Besitzern waren die Hofreiten von Jud Amschels Witwe (späterer Hausname Sallys) , Levi Stein (späterer Hausname Feistjes) sowie ein neben Mengersch befindliches und um 1827 abgebrochenes Haus mit der Nr. 57 (damals Jud Süssel Sommer). Allen diesen Häusern gemeinsam war ihre geringe Größe mit nur einem Stockwerk, welches bereits auf einen nicht gerade hohen Wohlstand der Besitzer und in gewisser Weise auch auf ihre ursprünglich rechtlich niedere Stellung innerhalb der Dorfbevölkerung hinweist.

Seit 1808 waren die jüdischen Untertanen im Großherzogtum Hessen verpflichtet, einen festen Familiennamen zu führen. In Crainfeld besonders häufig waren die Namen Sommer und Stein. Innerörtlich waren die jüdischen Familien genau wie die christlichen unter ihrem Hausnamen bekannt. Für den Außenstehenden war allerdings nicht zu erkennen, welchem Glauben der Hausbesitzer angehörte. Bei jüdischen Häusern befand sich jedoch im Türrahmen ein Röhrchen, die "Mesusah", welche auf einer Pergamentrolle das jüdische Glaubensbekenntnis enthielt.


Benjamin Bär mit seiner Ehefrau Fanny und seinen Kindern, aufgenommen um 1880.

Verglichen mit der christlichen Dorfbevölkerung war das Einzugsgebiet der jüdischen Gemeinde, zu erkennen an den Herkunftsorten der in Crainfeld eingeheirateten Juden, riesig. Es reichte über Orte wie Schotten, Kefenrod, Salmünster, Orb und Vollmerz bis nach Fulda und Jena. Dies zeigt ein ganz anderes Heiratsverhalten an als bei den örtlichen Bauern, deren Ehepartner meist aus dem eigenen Dorf stammten. Jüdische Ehen in Crainfeld kamen oft mittels eines Heiratsvermittlers ("Schadchen") zustande, zumal angesichts der Entfernungen auch häufig keine andere Möglichkeit gegeben war, einen potentiellen jüdischen Ehepartner kennen zu lernen. Aus dem gleichen Grund lag das Heiratsalter meist höher als bei den christlichen Altersgenossen. Jüdische Mädchen mussten einen Beitrag zur Gemeinde bezahlen, wenn sie "geschadchet" (verheiratet) wurden. Jüdische Hochzeiten fanden immer im Wohnhaus bzw. am Wohnort der Braut statt, ungeachtet dessen, wo die Eheleute später ihren Wohnsitz nahmen.

Die folgende Auflistung enthält alle jüdischen Familien, die Anfang 1933 in Crainfeld, Grebenhain und Bermuthshain wohnten.

Familie Salomon Sommer - Hausname Girschels

Das Haus Girschels stand an der Hauptstraße (heutige Frankfurter Straße) zwischen dem Gasthaus "Zur Eisenbahn" (Schreiersch) und dem Haus Peterjes. 1879 kaufte es der Metzger Abraham Sommer, doch konnte das Anwesen bereits vorher auf eine lange Besitzgeschichte zurückblicken. Bis 1839 gehörte die Hofreite dem Bauern Johann Balthasar Ruhl. Dann kaufte sie Gottlieb Sommer, Sohn des Alexander Sommer zu Crainfeld, womit das Anwesen erstmals einen jüdischen Besitzer hatte. 1875 erwarb der Schreinermeister Johannes Jäger aus Salz, der mit einer Frau aus Crainfeld verheiratet war, das zweistöckige quergeteilte Einhaus um es dann vier Jahre später an Abraham Sommer zu verkaufen.

Das nunmehr Girschels genannte Haus blieb dann in den nächsten drei Generationen im Besitz der Familie Sommer. 1889 ging das Haus auf dem Erbweg an den Sohn Feist Sommer II. (geb. 1862) über und 1924 an den Enkel Salomon Sommer (geb. 1892). Die Familie lebte ausschließlich von der Metzgerei, die abgesehen von der im benachbarten Gasthaus "Zur Eisenbahn" betriebenen die einzige Metzgerei in Crainfeld vor 1933 war. Dafür gab es hinter dem Haus ein eigenes Schlachthaus. Im Crainfelder Wasserzählerablesebuch von 1910 wird Feist Sommer II. ausdrücklich als Rindsmetzger erwähnt, was sich daraus erklärt, dass Schweine nach den jüdischen Religionsgesetzen nicht verzehrt werden dürfen. Salomon Sommer war der Schächter der jüdischen Gemeinde. Er besaß auch ein Motorrad, mit dem er Kunden in der Umgebung direkt belieferte.

Am 4. Oktober 1934 meldete sich Salomon Sommer mit seiner Ehefrau Klara (geb. 1896) und dem Sohn Erwin (geb. 1927) offiziell ab und emigrierte in die Vereinigten Staaten von Amerika. Die Großelterngeneration Feist Sommer II. (geb. 1862) und Theresia (geb. 1862) meldete sich am 22. Februar 1936 nach Kirtorf ab, ihr Schicksal ist unklar. Sein Haus verkaufte Salomon Sommer an seinen Nachbarn Heinrich Müller IX., der es in der Folge vermietete. Nach 1945 waren heimatvertriebene Familien aus den früheren deutschen Ostgebieten darin untergebracht. Nach dem Zweiten Weltkrieg besuchte Salomon Sommer noch einmal seine frühere Heimat, wie auch sein Sohn Erwin, und stand in Briefkontakt mit seinen einstigen Nachbarn, denen er nach Kriegsende sogar Geld zuschickte. Das Girschels Haus wurde 1984 nach längerem Leerstand im Rahmen der Dorferneuerung abgebrochen. Der Standort wurde nie mehr bebaut. Der frühere Garten und ein Mauerrest des Stalls sind erhalten geblieben.

Familie Abraham Sommer - Hausname Abrahams

Im Jahr 1896 kaufte der Handelsmann Bär Strauß den kleinen einstöckigen Stockwerkbau an der Hauptstraße (Frankfurter Straße) direkt zwischen den weit größeren Hofreiten Liesjes und Wänersch. Als nächster Besitzer des Hauses ist 1901 Sigmund Sommer II. eingetragen, der ein Bruder von Feist Sommer II. aus dem gegenüberliegenden Haus Girschels war. Sigmund Sommer II. war wie sein Sohn Abraham Sommer (geb. 1897) Viehhändler. Die Familie meldete sich am 29. März 1938 nach Frankfurt am Main ab und konnte noch in die USA emigrieren. Dort ertrank der jüngere Sohn Manfred (geb. 1937) im Alter von 9 Jahren im East River in New York. Der ältere Sohn Armin (geb. 1930) wurde noch 1936 in der Volksschule Crainfeld eingeschult und am 13. April 1937 nach Bad Nauheim abgemeldet. Das Haus Abrahams, das auch unter dem Hausnamen "Alexe" bekannt war, wurde bereits 1936 an Heinrich Oestreich aus Ober-Moos verkauft. Nach weiteren Besitzwechseln erwarb die Gemeinde Crainfeld das Haus und richtete darin 1956 den örtlichen Kindergarten ein, der dort bis heute besteht. Das 1975 durch einen modernen Anbau erweiterte Haus blieb bis heute erhalten.

Familie Meier Stern - Hausname Meiersch

Fast ein ganzes Jahrhundert lang befand sich zwischen den Hofreiten Roasche und Schneidersch in der Hauptstraße (Frankfurter Straße) das Haus mit dem Namen Meiersch im Besitz der jüdischen Familie Stern. Im Jahr 1835 kaufte der Viehhändler Salomon Stern das nach ihm zunächst Salmjes genannte zweistöckige quergeteilte Einhaus, das seinen Nachfahren bis 1933 gehörte. Salomon Stern lebte vom Viehhandel. Sein Sohn Emanuel Stern betrieb zusätzlich noch das Gewerbe des Metzgers und war im Jahr 1877 einer von vier Crainfelder Metzgern. Neben Ochsen-, Rind- und Schaffleisch bot er auch Schweinefleisch zum Verkauf an, obgleich Schweine nach den jüdischen Speisegesetzen nicht verzehrt werden dürfen.

Emanuel Stern war auch der Vorsteher der jüdischen Gemeinde. Im Jahr 1899 wurde eine neue Thorarolle feierlich von seinem Haus in die Synagoge überführt. Nach seinem Sohn Meier Stern (geb. 1875), der wiederum einen Viehhandel und darüber hinaus auch eine Schuhhandlung und Schuhwerkstatt betrieb, wurde das Haus fortan in Crainfeld nur noch Meiersch genannt. Das Schuhgeschäft von Meier Stern war so umfangreich, dass er sogar einen zusätzlichen Schuhmacher beschäftigen konnte, der darüber hinaus Vorturner beim 1928 gegründeten Crainfelder Turnverein war.

Meier Stern hatte drei Söhne, Ludwig, Hugo und Sally. Sally Stern (geb. 1910) blieb im Elternhaus und im elterlichen Geschäft. Meiersch gehörten zu den ersten jüdischen Familien, die Crainfeld nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten verließen. Das Haus Meiersch wurde an Heinrich Karl aus Reichlos verkauft und fortan Koarles genannt.  Am 7. November 1933 meldete sich Meier Stern mit seiner Ehefrau Rosa (geb. 1877) nach Arnheim in den Niederlanden ab. Sein Sohn Sally Stern verließ Crainfeld offiziell am 21. Dezember 1933. Er überschritt die Grenze bei Emmerich und wohnte in Arnheim, Oeverstrant 36. Nach der deutschen Besetzung der Niederlande wurde er 1943 vom KZ-Sammellager Westerbork nach Auschwitz und am 26. Januar 1945 ins KZ Buchenwald deportiert. Als sein "offizielles" Todesdatum gilt der 9. April 1945.

Manfred und Frieda Sommer nach ihrer Auswanderung 1937 in New York.

Familie Manfred Sommer - Hausname Nades

Das Haus Nades stand direkt gegenüber von Meiersch auf der anderen Seite der Hauptstraße (Frankfurter Straße) zwischen dem alten Haus der Hofreite Deichschneidersch und dem zweiten Roasche Haus. Im Jahr 1863 hatte es Nathan Sommer I. gekauft, der dem Haus, einem zweistöckigen quergeteilten Einhaus, auch seinen Hausnamen Nades gab. Insgesamt lebten dort drei Generationen der vom Viehhandel existierenden Familie Sommer. 1896 übergab Nathan Sommer I. das Haus an Sohn Löb (Leopold) Sommer (geb. 1866), der sich mit seiner Frau Betty (geb. 1872) offiziell am 1. März 1938 nach Frankfurt a. M. abmeldete.

Sein Sohn Manfred Sommer (geb. 1895) betrieb ebenfalls eine Viehhandlung. Nach den Erzählungen von Zeitzeugen soll er auch Handkäse hergestellt haben. Seine Ehefrau Frieda Sommer geb. Reichenberg (geb. 1907) stammte aus Windecken. 1928 wurde Tochter Ilse geboren. Am 7. Februar 1937 meldete sich Manfred Sommer mit Frau und Kind in Crainfeld ab und emigrierte in die USA, wo sie sich im New Yorker Stadtteil Brooklyn niederließen. Die Verwandten in Windecken dagegen wurden ermordet. Die Nachfahren von Manfred Sommer leben heute noch in den USA. 1998 besuchte Ilse Blumenthal geb. Sommer mit ihren Angehörigen ihren Geburtsort Crainfeld.

Familie Moses Sommer - Hausname Afrömjes

Das zweistöckige Einhaus zwischen den Hofreiten Ratzammels und Eirichs befand sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Eigentum des Crainfelder Unterschultheißen Johann Heinrich Heutzenröder. 1862 erwarb es der Handelsmann David Sommer II., dem 1864 sein Sohn Feist Sommer I. folgte. Dieser war Vorsteher der Jüdischen Gemeinde Crainfeld. Sein Sohn Moses Sommer wurde 1906 Besitzer der Hofreite. Wie viele Landjuden im Vogelsberg lebte er vom Viehhandel. Moses Sommer war zweimal verheiratet. Seine erste Frau war Mithilde Sommer geb. Bamberger. Seine zweite Ehefrau Amalie ("Malchen") Sommer geb. Wolff war 1884 in Waldenrath (Rheinland) als Tochter des Salomon Wolf und der Helena geboren. Er hatte am Ersten Weltkrieg teilgenommen und war Träger des Eisernen Kreuzes. Moses Sommer gehörte auch dem letzten am 14. Februar 1936 neu gewählten Vorstand der jüdischen Gemeinde an. Im Juli 1936 starb er in Crainfeld. Er hatte drei Kinder (Ferdinand, Katherine, Elli) aus erster Ehe und aus zweiter Ehe die Töchter Berta (geb. 1921) und Herta (geb. 1922).

Ferdinand Sommer war bereits im Jahr 1935 ohne abgemeldet verzogen, während seine Stiefschwester Berta sich am 10. Februar 1936 nach Frankfurt am Main. abmeldete. Amalie Sommer und ihre zweite Tochter Herta folgten am 23. Januar 1937. Das Haus Afrömjes ging im gleichen Jahr im Rahmen einer Zwangsversteigerung an den Schuhmacher Christian Reifschneider über, der zuvor im jetzigen Langs Haus im Pfingstweg gewohnt hatte und dem Haus seinen neuen Hausnamen Pingstwegs gab. Das ursprüngliche Haus wurde in den 1990er Jahren abgebrochen und durch ein neues Wohnhaus ersetzt.

Katherine Sommer emigrierte nach Hartford (Conneticut/USA), Elli Sommer nach Südafrika, und Ferdinand Sommer nach Palästina. Herta Sommer schloss mit Helmut Kaufmann die Ehe und wohnte in der Wolfgangstraße 16 in Frankfurt a. M.. Sie wurde 1942 Opfer einer der Deportationen aus Frankfurt am Main und ist "in Polen verschollen". Auch das Schicksal ihres 1941 geborenen Kinder ist unbekannt. Berta Sommer wohnte bis zum Mai 1939 in der Feststraße 16 in Frankfurt am Main. Es gelang ihr noch, über England nach Kanada zu emigrieren. Amalie Sommer wohnte in der Feststraße 12 in Frankfurt am Main und zuletzt im Jüdischen Altersheim (Hermesweg 5-7). Seit dem 1. November 1942 handelte es sich bei dieser Anschrift offiziell um eine "Gemeinschaftsunterkunft für Juden", um ein so genanntes "Judenhaus", in dem Juden vor ihrer Deportation in die Konzentrationslager zwangsweise leben mussten. Amalie Sommer wurde am 18. August 1942 bei der siebten großen Deportation aus Frankfurt in das KZ Theresienstadt und von dort nach Auschwitz verschleppt, wo sie ermordet wurde.

Familie Joseph Bär - Hausname Kadaljes

Die Familie Bär wohnte ursprünglich in einem kleinen Haus, das an der Stelle der späteren Gastwirtschaft "Zum Hessischen Hof" stand und 1867 von Benjamin Bär (geb. 1843, gest. 1888) erworben worden war. Seine Witwe Fanny Bär geb. Meier verkaufte das Haus 1892 an die Witwe des benachbarten Gastwirts Heinrich Meinhardt (Deichschneidersch) und wanderte wie schon ihre Kinder nach Amerika aus, wo deren Nachfahren bis heute leben. Schließlich erwarb Daniel Bär (geb. 1840, gest. 1922), dessen Ehefrau Bettchen (geb. 1847, gest. 1908) wie er selbst aus Kefenrod stammte und ein Bruder von Benjamin Bär war, 1881 ein in einer Nebenstraße abseits der Hauptstraße hinter der Hofreite Roasche liegendes Anwesen.

Dieses zweistöckige Einhaus hatte bis dahin den Hausnamen Volzbostebäckerjes getragen. 1820 gehörte es dem gebürtigen Ilbeshäuser Konrad Usinger, der 1813 bis 1815 auch Bürgermeister von Crainfeld war. Durch Einheirat erwarb der Bäcker Georg Löffler aus Landenhausen das Haus. 1894 übergab Daniel Bär das Haus seinem Sohn Joseph (geb. 1869). Ein Eintrag im Gewerbetagebuch der Gemeinde Crainfeld von 1926 führt Joseph Bär auf als Eisenhändler, Viehhändler mit Rindvieh im kleinen, Pferdehändler im kleinen, Metzger der nicht ständig schlachtet und Salzkrämer. Sein Kundenkreis als Eisenwarenhändler erstreckte sich über zwanzig Nachbargemeinden von Crainfeld.

Joseph Bär und seine Ehefrau Betty geb. Birk (gest. 1936) hatten drei Kinder, Deborah (geb. 1894), Elsa (geb. 1895) und David (geb. 1897). Deborah wohnte im Elternhaus bis zur Auswanderung in die USA am 14. März 1938. Elsa war mit dem Pferdehändler Jakob Hecht in Sterbfritz bei Schlüchtern verheiratet. Mit seinen zwei Kindern Lothar und Steffi wurde das Ehepaar dort am 30. Mai 1942 verschleppt und über Kassel in das KZ Majdanek im deutsch besetzten Polen gebracht. Hier wurde vermutlich der Sohn als Arbeitssklave aus dem Zug herausgeholt, während die Eltern und die Tochter im Vernichtungslager Sobibor bei Lublin durch Gas ermordet wurden.

Ab 1937 lebte Joseph Bär ebenfalls in Sterbfritz bei seiner Tochter. Zuletzt musste er mit anderen älteren jüdischen Sterbfritzern zwangsweise in einem Ghettohaus ("Judenhaus") in der Straße Unter den Linden in Schlüchtern leben. Am 5. September 1942 wurde er von dort gewaltsam in das KZ Theresienstadt deportiert, am 29. September 1942 weiter in das Vernichtungslager Treblinka und dort vergast.

Seinem Sohn David, der als Religionslehrer verheiratet in Edenkoben in der damals noch bayerischen Pfalz lebte, gelang noch die Auswanderung nach Amerika. Das Kadaljes Haus wurde im Oktober 1937 von der Gemeinde Crainfeld für 5.700 RM erstanden und der Stall für die Unterbringung der Gemeindebullen verwendet. Seither bürgerte sich die Bezeichnung Bullehaus für das Anwesen ein, das seit 1980 in Privatbesitz ist.

Simon Strauß mit seiner Ehefrau Augusta, aufgenommen um 1930.

Familie Simon Strauß - Hausname Moadjes

Das bis 2013 unterhalb der heutigen Bäckerei Müller stehende Haus war eines der kulturhistorisch bedeutendsten Fachwerkhäuser in Crainfeld nach dem Edelhof. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Besitz des damaligen Pfarrers Rübsamen befindlich, erwarb es 1832 Jud Süssel Sommer, der zuvor im Unterdorf gewohnt hatte. 1852 ging es an Markus Strauß über, 1881 an seinen Sohn Simon Strauß (geb. 1860, gest. 1933), der Viehhändler war.  Seine Ehefrau Augusta geb. Wallenstein (geb. 1864, gest. 1955) stammte aus Ruppertsburg bei Laubach. Sie hatten vier Kinder, Albert (geb. 1895), Dina (geb. 1892), Theo David (geb. 1899) und Olivia (geb. 1901).

Bereits kurz nach der "Machtergreifung" der Nationalsozialisten und dem Tod von Simon Strauß am 24. Februar 1933 verließen sie als erste jüdische Familie Crainfeld. Albert Strauß wohnte zuletzt in Wuppertal. Am 10. November 1941 wurde er von Düsseldorf aus in einem Deportationstransport in das Ghetto der weißrussischen Hauptstadt Minsk verschleppt und ist vermutlich dort auch umgekommen. Seine Schwester Dina Strauß, die als Schwester im jüdischen Krankenhaus in der Gagernstraße in Frankfurt a. M. arbeitete, starb am 24. September 1942 im KZ Theresienstadt. Theo David Strauß konnte dagegen emigrieren und starb am 1965 in Montreal (Kanada). Olivia Strauß war in Bad Soden verheiratet und verließ Deutschland mit ihrem Mann, ihrer Mutter Augusta und ihrer Tochter Hannelore, die im September 2006 Crainfeld besuchte und heute in New Jersey lebt. Die Hofreite Moadjes wurde 1933 an den Schindlermeister Karl Luft aus Crainfeld verkauft und schließlich 2013 abgerissen.

Familie Albert Zimmermann - Hausname Götzjes

Im Jahr 1876 kaufte Götz Zimmermann (geb. 1849, gest. 1937) aus Ober-Seemen, wo eine ebenfalls sehr große und traditionsreiche jüdische Gemeinde existierte, das alte Schulhaus an der Hauptstraße in Grebenhain. Es handelte sich um einen stattlichen Fachwerkbau auf hohem gemauerten Kellergeschoß. Götz Zimmermann betrieb hier fortan und bis 1935 ein großes Textilgeschäft für Stoffe und Konfektionsware, das einen Kundenkreis über Grebenhain hinaus gewann. Im Ersten Weltkrieg wurde sein Sohn Leopold, im Rang eines Unteroffiziers stehend, am 25. September 1915 als vermißt gemeldet. Götz Zimmermanns Bruder Leopold war in die USA ausgewandert und dort als Inhaber eines Bankgeschäftes zu Wohlstand gelangt. Im Jahr 1920 stiftete er 2.500 Mark für den Bau des Kriegerdenkmals in Grebenhain.

Mit seiner Ehefrau Lina Geb. 1849, gest. 1909) hatte Götz Zimmermann noch einen zweiten Sohn, Albert Zimmermann (geb. 1889). Dieser erwarb 1929 das Götzjes Haus in Crainfeld vom Vorbesitzer Heinrich Götz II.. Hier betrieb er fortan eine Manufaktur. Am 26. Mai 1936 meldete er sich offiziell ab und emigrierte mit seiner Ehefrau Hilde (geb. 1891) und seinem Sohn Gerhard (geb. 1923) in die Vereinigten Staaten von Amerika. Sein Vater starb am 6. August 1937 und wurde als letzter Angehöriger der jüdischen Gemeinde auf dem Friedhof bei Crainfeld bestattet. Gerhard Zimmermann diente im Zweiten Weltkrieg als Soldat in der US-Armee und nahm am Einmarsch in das nationalsozialistische Deutschland teil.

Familie Hermann Lind - Hausname Itzigs

Das an der Abzweigung des Pfingstwegs von der Hauptstraße (heute An der Cent) unterhalb des früheren Gerichtsplatzes gelegene Haus hatte seinen Namen von Isaak Lind (geb. 1832). Er wird im Brandkataster von 1861erstmals als Besitzer genannt. Ab 1899 gehörte das kleine zweistöckige Haus seinem Sohn Hermann Lind. Dieser war zweimal verheiratet, hatte jedoch keine Kinder. Seine erste Ehefrau war Rosa Lind geb. Rosental (geb. 1869 in Wenings, gest. 1931 in Crainfeld). Danach heiratete er Auguste Plaut (geb. 1882) aus Storndorf im Kreis Alsfeld. Am 26. Mai 1933 erhängte er sich im Wald bei Crainfeld. Es ist nicht klar, ob hierbei auch die politische Situation eine Rolle spielte.

Seine Witwe Auguste Lind bewohnte das Haus bis zum Novemberpogrom 1938 als eine der letzten jüdischen Einwohnerinnen von Crainfeld. Am 10. November 1938 wurde das Haus zur Zielscheibe der Gewalttäter während des Pogroms (s. u.). In dessen Rahmen verlor auch Bernhard Lind (geb. 1877), der Bruder von Hermann Lind, sein Leben. Er wurde in seinem Wohnort Lich in sogenannte "Schutzhaft" genommen und ins KZ Buchenwald bei Weimar verschleppt, wo er am 4. Dezember 1938 starb. Seine Ehefrau ertränkte sich im Main kurz vor dem Beginn der Deportationen aus Frankfurt am Main, in deren Rahmen auch Auguste Lind verschollen ist.

Familie Nathan Sommer II. - Hausname Nathans

Nathan Sommer II. (geb. 1866) betrieb eine Vieh- und Eisenwarenhandlung in dem etwas zurückgesetzt an der Einmündung der Nebenstraße in die Hauptstraße (heute An der Cent) stehenden Haus. Dieses hatte er 1905 von Johannes Rauber (Hausname Götzjes) erworben, dessen Schwiegersohn 1904 ein neues Haus an der Hauptstraße erbaut hatte. In Nathans lebte Nathan Sommer II. mit seiner Frau Jettchen geb. Katz (geb. 1871) und seinen Söhnen Arthur (geb. 1896) und Julius (geb. 1906). Letzterer verließ bereits zum 18. September 1933 seinen Heimatort.

Durch den wirtschaftlichen Boykott nach 1933 verarmten Nathan Sommer II. und seine Familie fast völlig. Am 3. September 1938 meldeten sie sich offiziell nach Frankfurt am Main ab. Ihren gesamten Hausrat mussten sie zuvor weit unter Wert verkaufen. Das Haus erwarb der Zimmermann Heinrich Oestreich aus Ober-Moos. Nathan und Jettchen Sommer wohnten dann im jüdischen Altersheim in Frankfurt am Main. Von dort wurde der Ehemann am 18. August 1942 noch ins KZ Theresienstadt deportiert, wo er am 6. September 1942 starb, wohl auch angesichts der dort herrschenden menschenverachtenden Bedingungen. Julius Sommer gelang die Auswanderung nach Palästina, Arthur Sommer die Auswanderung in die USA, wo ihre Nachfahren auch heute noch leben.

Familie Sally Weinberg - Hausname Sallys

Sally Weinberg (geb. 1887) war ein Bruder des Grebenhainer Viehhändlers und Metzgers Hugo Weinberg. Mit seiner Ehefrau Flora (geb. 1892) hatte er zwei Kinder, Ludwig (geb. 1921) und Gertrud (geb. 1923). Im Jahr 1926 erbaute er ein eigenes Haus in der Bahnhofstraße, dem damaligen Grebenhainer "Neubaugebiet". Dort eröffnete er einen Laden, in dem er u. a. Fahrräder und als erster in der Gegend Radioapparate zum Verkauf anbot. Aus noch nicht bekannten Gründen zog er dann aber nach Crainfeld in ein kleines Haus in der Nebenstraße.

Hierbei handelte es sich um ein Anwesen, das nachweislich schon 1820 jüdische Besitzer hatte. Zunächst gehörte es einem Jud Amschel, gemäß dem Brandkataster von 1861 dann Löb Sommer, und schließlich dessen Sohn Sigmund Sommer I. und dem Enkel Elkan Sommer. Wohl nach Löb Sommer hatte es den Hausnamen Leebs. 1927 siedelte Elkan Sommer in sein neues Wohnhaus auf der gegenüberliegenden Straßenseite über. Das bisherige Haus verkaufte er an Sally Weinberg.

In der Pogromnacht am 9. November 1938 attackierten SA-Leute das Haus der Familie Weinberg, das zu diesem Zeitpunkt eins von nur noch zwei in Crainfeld war, in denen Juden lebten. In einem Willkürakt wurde es am 16. November 1938 durch die Crainfelder Feuerwehr als "baufällig" abgerissen. Offiziell zum 23. Dezember 1938 siedelte Sally Weinberg mit Frau und Kindern nach Frankfurt am Main über.

Von dort wurden Sally, Flora und Gertrud Weinberg inmitten von 992 namentlich bekannten Personen Opfer der dritten großen Deportation aus Frankfurt am Main am 22. November 1941. Alle an diesem Tag Deportierten gelangten schließlich nach Kaunas im deutsch besetzten Litauen, wo sie im dortigen Fort IX am 25. November 1941 von einem SS-Einsatzkommando und litauischen Kollaborateuren mit Maschinengewehren ermordet wurden. Auch Ludwig Weinberg überlebte den Massenmord nicht. Seine Eltern hatten ihn in einem Heim für für geistig behinderte jüdische Kinder in Beelitz bei Potsdam untergebracht. Am 13. Juni 1942 wurde er in das Vernichtungslager Sobibor deportiert und dort ermordet.

Familie Elkan Sommer - Hausname Leebs

Das Wohnhaus von Elkan Sommer (geb. 1896) entstand durch Um- und Ausbau einer Scheune mit Stallung an der Nebenstraße, die bis dahin zu dem gegenüberliegenden Wohnhaus (später Sallys) gehört hatte. Der Hausname Leebs wurde, wie in solchen Fällen üblich, beim Umzug in das neue Haus "mitgenommen". Doch nur wenige Jahre konnte sich Elkan Sommer seiner neuen Wohnstätte erfreuen. Nach dem Beginn der NS-Zeit wanderte er schon im Jahr 1934 nach Palästina aus. Hier wurde er später Eigentümer einer Wurstfabrik in der Nähe von Tel Aviv.

Die Familie Stein nach ihrer Auswanderung nach Südafrika. In der Mitte Jakob Stein II., links Julius Stein mit Ehefrau und Tochter. Rechts der Sohn von Julius Stein sowie Friedrich Stein. Das Familienfoto wurde mit der Widmung "Der Familie Mengersch zur Erinnerung an Feistjes" an Konrad Ruhl in Crainfeld gesandt.

Familie Jakob Stein - Hausname Feistjes

Das kleine einstöckige Haus in der Kreuzstraße hatte seinen Hausnamen von dem 1898 verstorbenen Handelsmann Feist Stein. Bereits dessen Vater Levi Stein wird in dem 1820 entstandenen Crainfelder Grundsteuerkataster als Besitzer genannt. 1907 ging das Haus schließlich auf Jakob Stein II. (geb. 1871) über. Er betrieb eine Alteisenhandlung und Manufaktur sowie einen Gemischtwarenladen. Sein Sohn Julius (geb. 1908) hatte eine Agentur für "Miele"-Haushaltsgeräte und fuhr als einer der ersten in Crainfeld ein Motorrad.

Jakob Stein II. hatte zwei Söhne, Julius und Friedrich. Bereits am 16. Oktober 1933 meldete er sich mit seiner Frau Emilie (geb. 1876) in Crainfeld ab und zog zunächst nach Frankfurt am Main, um dann nach Johannesburg in Südafrika zu emigrieren. Noch lange pflegte er Briefkontakt mit früheren Nachbarn in Crainfeld. Sein Haus hatte er 1933 an Karl Fischer verkauft. Die Schwester von Jakob Stein II., Johanna Kirschner geb. Stein (geb. 1875), die in Lindheim und zuletzt in Frankfurt am Main wohnte, wurde ein Opfer der dort am 15. September 1942 beginnenden Deportation. Sie starb am 22. Februar 1943 im KZ Theresienstadt.

Familie Markus Stein - Hausname Koppels

Der Hausname Koppels bezog sich möglicherweise auf den im Kriegsschadensverzeichnis von 1625 genannten Juden Koppel und damit einen der ersten bekannten jüdischen Einwohner von Crainfeld. Das Haus, das als erstes nachweislich mit diesem Namen bezeichnet wurde, stand an der Abzweigung heutigen Kreuzstraße neben Gerbets. 1820 gehörte es dem Metzgermeister Johann Heinrich Baumbach, 1838 ging es an dessen Schwiegersohn Ernst Konrad Rühl aus Schotten über. 1864 erwarb es Konrad Fritz aus Crainfeld ebenfalls durch Einheirat, zog aber 1879 in die nahe Mühle (Krommese).

Sein altes Haus verkaufte Konrad Fritz an den jüdischen Crainfelder Jakob Stein I.. Sein Sohn Abraham Stein (geb. 1890) wurde 1890 Besitzer des Hauses und betrieb einen Lebens- und Futtermittelhandel. Er war zweimal verheiratet. Seine zweite Ehefrau Malchen Stein geb. Nußbaum stammte aus Vollmerz, wohin viele verwandtschaftliche Beziehungen der Crainfelder Juden bestanden. Aus erster Ehe stammten die Kinder Leopold und Lina, aus zweiter Ehe Max (geb. 1897) und Selma (geb. 1896). Abraham Stein war Vorsteher der Jüdischen Gemeinde Crainfeld.

Am 28. April 1914 ereignete sich etwa eine Stunde nach Mitternacht ein Verbrechen, das nicht nur in Crainfeld, sondern im gesamten hohen Vogelsberg Entsetzen auslöste. Ein maskierter Unbekannter war in das Haus eingedrungen und griff Abraham Stein, seine Frau, und seine vier Kinder mit einem Beil an und verletzte sie alle schwer. Danach setzte er das Haus in Brand und entkam unerkannt. Noch in der Nacht erlag Abraham Stein seinen Verletzungen Seine Angehörigen wurden sofort in das Krankenhaus in Lauterbach eingeliefert, wo auch seine älteste Tochter Lina starb. Das Feuer verwüstete nicht nur das Haus der Familie Stein, sondern griff auch auf die angrenzende Hofreite des Johannes Baumbach VII. über und zerstörte sie vollständig.

Der "Lauterbacher Anzeiger" berichtete über Wochen hinweg über alle Neuigkeiten in Verbindung mit der Schreckenstat in Crainfeld. Am 30. April 1914 wurden Abraham und Lina Stein auf dem jüdischen Friedhof unter Teilnahme der gesamten Einwohnerschaft Crainfelds sowie sämtlicher Mitglieder der benachbarten jüdischen Gemeinden einschließlich des orthodoxen Provinzialrabbiners Dr. Leo Hirschfeld aus Gießen.

Trotz einer von der Staatsanwaltschaft ausgesetzten Belohnung von 6.000 M, von dem Schwager des Ermordeten, Simon Sommer aus Grebenhain, noch einmal um 500 M erhöht, konnte das Verbrechen nicht aufgeklärt werden. Ein Mann aus Ober-Moos wurde aus der Haft entlassen, nachdem er ein Alibi nachweisen konnte. Auch zwei Männer aus Salz, die bei Abraham Stein verschuldet waren und bei denen obendrein blutbefleckte Kleidung gefunden wurden als Täter verdächtigt. Allgemein vermutete man den Rachakt eines Schuldners. Es verbreiteten sich aber auch Gerüchte, wonach der Bruder des Toten wegen einer angeblich übergangenen Erbschaft in die Tat verwickelt gewesen sei, oder aber der jüdische Lehrer, dem Abraham Stein die Ehe mit seiner ältesten Tochter verweigert habe.

Die Familie Stein blieb nach der Mordtat in Crainfeld wohnen und zog in die benachbarte Alte Schule, die Abraham Stein 1911 erworben hatte. Das alte Haus wurde nicht mehr aufgebaut, sondern an seiner Stelle die Gerbets Hofreite vergrößert neu errichtet. Ab dem Juni 1914 führten Leopold und Max Stein das Geschäft ihres Vaters in der Alten Schule weiter, später Max und Selma Stein, die beide nie verheiratet waren. Neben dem sehr umfangreichen Gemischtwarenladen gehörte dazu auch ein Fruchthandel.

Bereits am 9. November 1933 meldeten sich die Geschwister nach Frankfurt am Main ab, nachdem schon im Frühjahr 1933 die Fensterscheiben am Geschäft eingeworfen worden waren. Von Max Stein ist überliefert, er habe selbst Hitlers Buch "Mein Kampf" gelesen und daher schon frühzeitig eine Eskalation der nationalsozialistischen Politik erwartet. Beide emigrierten nach Südafrika, wo Max 1981, Selma 1991 starb. Sie pflegten engen brieflichen Kontakt zu mehreren Crainfelder Familien aus ihrer früheren Nachbarschaft und waren in den 1960er Jahren auch selbst zweimal zu Besuch in ihrer ehemaligen Heimat.

Familie Matthäus Stein - Hausname Matthese

Direkt neben Koppels wohnte der Kolonialwarenhändler Matthäus Stein II. (geb. 1863) mit seiner Frau Bettchen Stein geb. Stern (geb. 1863). Sein Haus mit dem unverwechselbaren und im Ort einmaligen Mansarddach wurde in dieser Form auch erst 1918 durch ihn anstelle eines vorhandenen einstöckigen Hauses erbaut, das bereits seinem Vater Matthäus Stein I. gehört hatte und von dem sich der Hausname wohl ableitet. Bettchen Stein stammte aus Burkhardsfelden im Kreis Gießen. Die Eheleute hatten zwei Töchter, Theresa und Hannah (geb. 1905).

Matthäus Stein II. meldete sich zusammen mit seiner Frau offiziell am 28. August 1933 nach Frankfurt am Main ab. Das Haus wurde an den Spengler Wilhelm Althaus aus Grebenhain verkauft. Bettchen Stein lebte zuletzt im Jüdischen Altersheim in Frankfurt am Main. Von dort wurde sie während der siebten großen Deportation aus der Stadt am 18. August 1942 ins KZ Theresienstadt verschleppt, wo sie fünf Wochen später starb. Auch ihre Tochter Theresa erlitt dieses Schicksal am 15. September 1942. Nur ihr Mann überlebte das Ende des Krieges in Theresienstadt. Er wanderte in die Vereinigten Staaten von Amerika aus.

Familie Salomon Wertheim - Hausname Schusterje

Im alten Haus der Hofreite Deichschneidersch wohnte der Schuhmacher Salomon Wertheim, umgangssprachlich das Schusterje oder auch Jiddeschuster genannt, zur Miete. Er stammte aus Breitenbach am Herzberg und hatte durch seine Ehe mit Emma Wertheim geb. Stein (geb. 1870) in die Crainfelder Familie Stein (Koppels) eingeheiratet. Ihre Kinder waren Erika (geb. 1907) und Ferdinand (geb. 1909). Salomon Wertheim starb 1928 in Crainfeld.

Am 15. Februar 1934 folgte Ferdinand Wertheim mit seiner Mutter seiner Schwester nach Frankfurt am Main, die sich bereits am 12. Juli 1933 aus Crainfeld dorthin abgemeldet hatte. Während des Novemberpogroms 1938 war Ferdinand Wertheim einer von 533 jüdischen Männern aus Frankfurt am Main, die verhaftet und ins KZ Buchenwald verschleppt wurden. Das weitere Schicksal der Familie ist ungeklärt.


Die Familien Adler und Lind in Goßmannsdorf am Main, aufgenommen um 1936. Hintere Reihe von links: Jakob Büttner, Fanny Büttner geb. Adler, Sophie Weimersheimer geb. Adler, Jakob Weimersheimer. Mittlere Reihe von links:  Berta Adler, Giselha Lind geb. Adler, Seligmann Lind. Vordere Reihe von links: Martin Lind, Ruth Lind, David Adler.

Familie Seligmann Lind - Hausname Sandersch (Bermuthshain)

Das kleine einstöckige Haus (später Franze) am südlichen Ortseingang von Crainfeld, 1837 von dem Schmied Sebastian Ruhl erbaut, befand sich 1861 nachweislich im Besitz von Benjamin Lind (geb. 1822, gest. 1872), der mit Sophie Lind geb. Sommer (geb. 1824, gest. 1882) verheiratet war. Seine Söhne Alexander (geb. 1856) und David (geb. 1858) pachteten im Jahr 1886 die kleine Gastwirtschaft "Zum Hessischen Hof" im benachbarten Bermuthshain, zu der auch ein Laden gehörte.

1889 erwarb Alexander Lind (mundartlich der Sander) schließlich das Anwesen von dem Vorbesitzer Heinrich Bopp III. und zog mit seiner Frau Sophie Lind geb. Hess (geb. 1856) aus Lohrhaupten bei Würzburg schließlich nach Bermuthshain. Die Linds waren die einzige jüdische Familie, die jemals in Bermuthshain gelebt hat. Das Ehepaar hatte vier Kinder, wovon das älteste noch in Crainfeld geboren war.

Regina Lind (geb. 1886) war heiratete am 5. Oktober 1919 den Kaufmann Hermann Levi (geb. 1882) in Alsfeld, der Eigentümer eines großen Wohn- und Geschäftshauses in der Bahnhofstraße in Alsfeld in unmittelbarer Nachbarschaft zur dortigen Synagoge in der Lutherstraße war. Aus der Ehe gingen fünf Kinder hervor, Kurth (geb. u. gest. 1920), Ruth (geb. 1921), Benno (geb. 1923), Ernst (geb. 1924) und Miriam (geb. 1928). Im Dezember 1934 emigrierten zuerst die Söhne Benno und Ernst und die Tochter Ruth und dann 1938 die Eltern mit der jüngsten Tochter Miriam nach nach Detroit im US-Bundesstaat Michigan. Benno Levi diente während des Zweiten Weltkrieg in der 77. US-Infanteriedivision im Pazifik. Vor seinem Tod im Jahr 2014 besuchte er noch mehrere Male seine Geburtsstadt Alsfeld und auch Bermuthshain und Crainfeld.

Benjamin Lind (geb. 1887) schloss am 5. Juli 1914 die Ehe mit Lina Grünbaum aus Ober-Seemen. Bereits drei Wochen später sollte er als Soldat im Ersten Weltkrieg fallen. Frieda Lind (geb. 1891) war seit 1930 mit Hermann Mayer aus Marktsteft am Main bei Würzburg verheiratet. 1931 wurde ihr Sohn Herbert geboren. Bei ihnen lebten seit 1936 auch die Eltern bzw. Schwiegereltern Alexander und Sophie Lind bis zu ihrem Tod in den Jahren 1939 und 1940. Die Familie Mayer wurde am 24. September 1942 von Nürnberg aus in das KZ Theresienstadt deportiert, wo der Sohn an den Haftbedingungen starb. Am 18. Mai 1944 wurden Hermann und Frieda Mayer von Theresienstadt in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort durch Gas ermordet.

Seligmann Lind (geb. 1889) absolvierte von 1903 bis 1906 eine kaufmännische Lehre bei Jakob Strauß in Bad Homburg und hatte anschließend mehrere Stellen in diesem Gewerbe inne. Ab 1915 leistete er seinen Kriegsdienst im 87. Infanterieregiment in Mainz und wurde am  18. August 1918 wegen Tapferkeit im Felde mit dem Allgemeinen Ehrenzeichen des Großherzogtums Hessen ausgezeichnet. Nach dem Krieg trat er in das elterliche Geschäft mit Gastwirtschaft ein und heiratete am 19. Dezember 1921 Giselha Adler aus Goßmannsdorf am Main. 1922 und 1925 kamen ihre Kinder Ruth und Martin zur Welt. Seligmann Lind war 1926 Grünungsmitglied und erster Schriftführer der Freiwilligen Feuerwehr Bermuthshain, auch gehörte er dem örtlichen Kriegerverein und dem Männergesangverein "Eintracht" an. 1932 übernahm er die Gastwirtschaft und den Laden offiziell von seinem Vater.

Nach der "Machtergreifung" 1933 wurde die Familie zunehmend von den Aktivisten von NSDAP und SA in Bermuthshain angefeindet und bedroht. Eines Abends im Frühjahr 1936 überfielen einheimische SA-Männer das Haus und verwüsteten es. Die Linds flohen vor ihnen in den Wald außerhalb des Dorfes und wagten es erst am nächsten Morgen, wieder heimzukehren.  Am 15. Mai 1936 verließ Seligmann Lind mit Frau und Kindern Bermuthshain und zog zu seinem Schwiegervater David Adler in Goßmannsdorf. Das Haus in Bermuthshain musste er zu einem sehr niedrigen Haus an einen Nachbarn verkaufen. Bereits seit August 1938 bemühte sich Seligmann Lind um eine Auswanderung nach Amerika, die ihm jedoch nicht mehr gelingen sollte. Während des Pogroms wurde er am 10. November 1938 verhaftet und bis zum 23. November 1938 mit anderen Juden im Amtsgerichtsgefängnis in Ochsenfurt eingesperrt.

Nachdem ihnen im Mai 1940 durch das US-Generalkonsulat eine Einreise in die Vereinigten Staaten in Aussicht gestellt wurde, bemühten sich die Eheleute Lind zunächst um die Auswanderung der Kinder Ruth und Martin. Die Ausreise von Martin Lind gelang dann im August 1941 über das deutsch besetzte Frankreich, Spanien und schließlich über den Atlantik mit dem Schiff "Ciudad de Sevilla". Seine Schwester Ruth Lind folgte am 7. August 1941 mit einer Schiffsreise ab dem 27. September 1941 nach New York. Beide gelangten zu ihrer Großmutter Berta Adler nach New York in den sicheren USA. Die Emigration erfolgte in buchstäblich letzter Minute, kurz bevor am 23. Oktober 1941 Juden die Auswanderung aus Deutschland verboten und mit der systematischen Ermordung der jüdischen Bevölkerung begonnen wurde.

Am 24. März 1942 erfolgte die Deportation aller Juden aus dem damaligen Gau Mainfranken vom Bahnhof Kitzingen aus in das Ghetto Izbica bei Lublin im deutsch besetzten Polen. Unter den über 1.000 dorthin Verschleppten befanden sich auch die Eheleute Lind, deren Spur sich in Izbica verliert. Von Lublin aus erreichte die Kinder Ruth und Martin Anfang 1942 noch ein letztes Lebenszeichen der Eltern in Form eines Telegramms über das Schweizer Rote Kreuz. Ein Teil der nach Izbica Deportierten wurde entweder sofort oder wenig später in die Vernichtungslager Majdanek und Sobibor weitertransportiert und dort ermordet, mehrere Tausend im November 1942 in Izbica selbst durch die SS erschossen.

Während des Zweiten Weltkrieges diente Martin Lind in der US-Armee und war nach der Schlacht in den Ardennen Ende 1944 auch am Einmarsch in das nationalsozialistische Deutschland beteiligt, von wo er mehr als drei Jahre zuvor geflohen war. Im Juni 1973 besuchte er zusammen mit seinem Sohn, der bei den in der Bundesrepublik stationierten US-Streitkräften diente, zum ersten und einzigen Mal seit 1936 seinen Heimatort Bermuthshain.

Familie Hugo Weinberg - Hausname Leebs (Grebenhain)

Im Jahr 1886 erwarb Hugo Weinberg (geb. 1854, gest. 1918) eine Hofreite in der heutigen Oberwaldstraße in Grebenhain. Seine Ehefrau war vermutlich Fanni Weinberg geb. Rosenthal (geb. 1864, gest. 1930), die auf dem jüdischen Friedhof bei Crainfeld beigesetzt ist. Sein Sohn Hugo Weinberg lebte vom Viehhandel und einer Metzgerei und eröffnete im Jahr 1907 den ersten Metzgerladen in Grebenhain. Hugo Weinberg, der ein Bruder des später in Crainfeld ansässigen Sally Weinberg war, hatte eine Tochter, Edith. Er soll bereits frühzeitig in die Vereinigten Staaten emigriert sein.

Familie Leopold Sommer - Hausname Simons (Grebenhain)

Schräg gegenüber von Götz Zimmermann an der Hauptstraße in Grebenhain hatte auch die Familie des Viehhändlers Lepold Sommer. Das Anwesen wurde 1887 von seinem Vater Simon Sommer erworben, einem Schwager des Gemeindevorstehers Abraham Stein in Crainfeld. Auf ihn ist auch der Hausname bezogen. 1934 verkaufte er das Haus an die Gemeinde Grebenhain und wanderte mit seiner Familie nach Amerika aus.

Das Ende der jüdischen Gemeinde

Trotz mancher Eintrübungen, wie sie in der Zeit der antisemitischen Bewegung Ende des 19. Jahrhunderts zu Tage traten, und trotz der tiefen Unterschiede in der Religion und damit verbunden im Alltagsleben lebten jüdische und christliche Crainfelder über Jahrhunderte im großen und ganzen friedlich zusammen. Dieses Zusammenleben und die Existenz der jüdischen Gemeinde als solche endete innerhalb nur weniger Jahre nach dem Beginn des so genannten "Dritten Reiches" am 30. Januar 1933.

Hetzartikel im "Lauterbacher Anzeiger" am 13. Januar 1939 im Stil der NS-Propaganda über die Jüdische Gemeinde Crainfeld und das nun "judenfreie" Dorf.

Als Folge der ideologischen Erblast der Antisemitenbewegung und der schlechten wirtschaftlichen Lage der Landwirtschaft in den 1920er Jahren gehörte die Vogelsbergregion zu den Gebieten Deutschlands, in denen der Aufstieg der Nationalsozialisten früh begann. Am 1. März 1929 wurde in Grebenhain die erste NSDAP-Ortsgruppe im Kreis Lauterbach gegründet. Initiator war der seit 1927 dort ansässige Tierarzt Dr. Otto Lang, der bereits seit 1926 Parteimitglied war. Zu weiteren "Hochburgen" der Hitler-Partei im Kreisgebiet entwickelten sich in der Folge Bermuthshain und Salz, wo am 1. April bzw. am 1. Juni 1930 NSDAP-Ortsgruppen gebildet wurden. In Bermuthshain entstand im Sommer 1930 auf Initiative eines NS-Aktivisten aus Schlitz auch ein SA-Sturm.

In Crainfeld gab es bis Anfang des Jahres 1932 nachweislich keine Eintritte in die NSDAP und auch keine Ortsgruppe. Jedoch gab es hier mit Georg Heinrich Saal (1928 bis 1932) und besonders Alfred Mitzenheim (1932 bis 1938) zwei evangelische Pfarrer, die schon vor der "Machtergreifung" offen mit dem Nationalsozialismus sympathisierten und auch entsprechend innerhalb der Kirchengemeinde "wirkten". Schon im Juni 1932 ernannte die Gemeinde Crainfeld, wie auch die Nachbargemeinden Grebenhain und Bermuthshain, Adolf Hitler zu ihrem Ehrenbürger.

Bereits bei der Reichstagswahl am 20. Mai 1928 entfielen von den nur 192 NSDAP-Stimmen im Kreis Lauterbach immerhin 79 auf Grebenhain (zum Vergleich: 29 in Lauterbach). In der hessischen Kommunalwahl am 17. November 1929 stimmte bereits eine Mehrheit der Wähler in Grebenhain, Bermuthshain und Salz für die Nationalsozialisten. In Crainfeld wurden sie erstmals bei der Reichstagswahl am 14. September 1930 zur stärksten Partei, als von 229 abgegebenen Stimmen 74 auf die NSDAP entfielen. Bei den letzten freien Reichstagswahlen am 6. November 1932 wurden in den Dörfern im Kreis Lauterbach durchweg oft über 90% aller Stimmen für die NSDAP abgegeben. Eine Ausnahme bildeten nur die Orte mit einem stärkeren Anteil von Industriearbeitern wie Angersbach und die Kreisstadt Lauterbach selbst sowie das katholische Herbstein.

Auf die Nachricht von der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 veranstaltete die NSDAP-Ortsgruppe noch am Abend einen Festzug unter Musik und bengalischer Beleuchtung durch den Ort. Es folgten weitere derartige Kundgebungen, so am 1. Mai 1933 mit der Pfalnzung einer "Hitler-Linde" auf dem Kirchhof im Anschluss an einen Festgottesdienst zum "Tag der nationalen Arbeit" in der völlig überfüllten Crainfelder Kirche. Parallel dazu wurden der Gemeinderat und die örtlichen Vereine im nationalsozialistischen Sinn "gleichgeschaltet".

Am 1. April 1933 geriet die Jüdische Gemeinde Crainfeld zum ersten Mal nachweislich in das Visier der örtlichen NS-Aktivisten. An diesem Tag fand im gesamten Deutschen Reich ein Boykott jüdischer Geschäfte statt. In Crainfeld, Grebenhain und Bermuthshain stellten sich SA-Männer vor den Läden jüdischer Einwohner auf und unterbanden den Zutritt. Ab diesem Datum waren die jüdischen Crainfelder, Grebenhainer und Bermuthshainer aus ihrer Dorfgemeinschaft ausgeschlossen und von den meisten Ortseinwohnern gemieden. Ein Klima des Mißtrauens und der Denunziation entstand. Selbst enge Freunde trauten sich bald nur noch heimlich, mit ihren jüdischen Nachbarn zu reden. In den jüdischen Läden wurde nur noch heimlich und durch die Hintertür eingekauft.

Im Jahr 1935 verboten nach und nach alle Gemeinden des Kreises Lauterbach auch offiziell ihren Ortsbürgern den Handel mit Juden und den Einkauf in jüdischen Geschäften. Bei Zuwiderhandlung drohte der Ausschluss von allen Arbeiten und Berechtigungen innerhalb der Gemeinde. In jedem Ort wurden so genannte "Stürmerkästen", Schaukästen für den Aushang der antisemitischen Hetzzeitung "Der Stürmer", angebracht. Im September 1935 wurde in Stockhausen bei Herbstein am Ortseingang ein großes Schild mit der Aufschrift "Juden sind hier unerwünscht" aufgestellt. Aus Bermuthshain ist überliefert, dass die SA im ganzen Dorf Schilder mit der Parole "Die Juden sind unser Unglück" verteilte, die in den Häusern aufgehängt wurden.

Unter diesem Umständen verließen schon im Jahr 1933 drei jüdische Familien ihre Heimat Crainfeld. Viele suchten zunächst Zuflucht in der vermeintlich sicheren Anonymität der Großstadt Frankfurt am Main, während andere ins Ausland emigrierten, insbesondere in die Vereinigten Staaten von Amerika. Besonders den ab 1936 Wegziehenden fiel es immer schwerer, ihr Eigentum noch zu einem halbwegs dem tatsächlichen Wert entsprechenden Preis zu verkaufen.

Dass ihnen das erhaltene Geld, wie der Autor Friedrich Müller in seiner 1987 erschienen Dorfchronik behauptete, gemäß einem "Versprechen" des damaligen Bürgermeisters nachgesandt wurde, ist angesichts der politischen Realität im "Dritten Reich" eher als nachträgliche Legende bzw. Geschichtsklitterung zu deuten. Dagegen sprechen allein schon die zahlreichen Prozesse, die nach 1945 wegen des Eigentums der jüdischen Familien geführt wurden. Schon aufgrund des massiven politischen und gesellschaftlichen Drucks kam der Verkauf der meisten Anwesen faktisch unter Zwang und vor allem oft weit unter dem tatsächlichen materiellen Wert zustande. Daher war aufgrund der Restitutionsgesetze nach 1945 in den meisten Fällen eine Nachzahlung erforderlich, die zusammengerechnet dem tatsächlichen Kaufpreis nahe kam, der unter normalen Umständen für die Häuser gezahlt worden wäre. In einigen Fällen stammten die Käufer aus Crainfeld selbst, oftmals waren es aber auch Auswärtige, welche die politischen Verhältnisse kaltblütig ausnutzten und auf diese Weise in Crainfeld Haus- und Grundbesitz zu regelrechten "Schleuderpreisen" erwarben.

Der ehemalige Standort der Crainfelder Synagoge (Carport im Hintergrund) heute, links die Alte Schule.

Aus Crainfeld und den beiden anderen Dörfern sind zahlreiche Repressalien überliefert, die gegen jüdische Einwohner und gegen Personen, die noch Kontakt mit jüdischen Familien pflegten, gerichtet waren. Es herrschte eine kaum vorstellbare hasserfüllte Atmosphäre gegen alles Jüdische. Häufig waren ortsansässige SA-Männer in Uniform oder Zivil die Täter. So hatten beispielsweise drei SA-Männer Schulden bei einem Crainfelder Viehhändler. Einer der drei Männer hielt die Familie mit einer Pistole in Schach, während die anderen beiden das Haus durchsuchten und die ganzen Rechnungen verbrannten. Nachdem 1935 das Betreten jüdischer Geschäfte verboten worden war, kontrollierten SA-Männer und der NSDAP-Ortsgruppenleiter, ob dort noch jemand einkaufte. In einigen Fällen wurden von diesen dann Güter aus den Läden, ohne zu bezahlen, "mitgenommen".

In Crainfeld durften sich Bewohner des Dorfes nicht mehr mit jüdischen Nachbarn treffen, taten es aber dennoch, indem sie sich bei einer nichtjüdischen Familie versammelten. Als einmal eine Frau in Crainfeld von SA-Männern beobachtet wurde, wie sie mit jüdischen Einwohnern Kontakt aufgenommen hatte, wurde sie mit dem Tode bedroht und durch das Dorf gehetzt. Andere Dorfbewohner schlossen sie vor den SA-Leuten im Backhaus ein. Sogar Kinder wurden von Nationalsozialisten dazu angestiftet, bei Häusern jüdischer Familien die Fensterscheiben einzuwerfen. Kinder, die noch mit befreundeten jüdischen Nachbarskindern spielten, wurden teilweise von Gleichaltrigen beschimpft. In einem Fall halfen Nachbarn jüdischen Bekannten bei der Flucht und fuhren nachts ihre Habseligkeiten mit einem Schubkarren über das Feld aus dem Dorf, in einem anderen versteckten sie sie vor der SA in ihrer Scheune.

Am 14. Februar 1936 erfolgte die letzte Neuwahl des Vorstands der jüdischen Gemeinde, der sich aus Moses Sommer, Abraham Sommer, Joseph Bär und Seligmann Lind zusammensetzte. Im November 1936 war die jüdische Gemeinde so stark zusammengeschmolzen, dass kein Minjan mehr zustandekam. Lediglich sieben Familien in Crainfeld und eine in Grebenhain mit 20 Personen (darunter 8 erwachsene Männer) gehörten ihr noch an. Das Gemeindeeigentum bestand noch aus der Synagoge mit einem Brandkatasterwert von 3.500 RM, dem Friedhof und einem verpachteten landwirtschaftlichen Grundstück von 200 qm. Am 11. Oktober 1937 hatte die Gemeinde noch ein Guthaben von 415,29 RM bei der Bezirkssparkasse Herbstein. Die Auflösung der Gemeinde erfolgte durch Beschluss vom 11. Oktober 1937. Die Vermögensübergabe an den Landesverband israelitischer Gemeinden in Mainz wurde endgültig erst im Mai 1940 genehmigt. Die Gemeindebücher waren auch nach Beantragung der Auflösung bis November 1938 dem Kreisamt Lauterbach vorzulegen, doch kam von seiner Seite jegliche Weiterbearbeitung nach der Judenaktion vom 09.-11. November 1938 nicht mehr in Frage.

Die "Judenaktion", wie die Nationalsozialisten den reichsweiten Pogrom zwischen dem 7. und 13. November 1938 nannten, traf in Crainfeld am Abend des 9. November 1938 die beiden dort noch verbliebenen jüdischen Haushalte. Überliefert ist, dass sich die SA-Männer in Bermuthshain in einem dortigen Gasthaus trafen, um anschließend nach Crainfeld loszuziehen. Die Fensterscheiben der Synagoge wurden eingeworfen, die Tür eingebrochen und das Innere verwüstet. Die Täter rückten jedoch angesichts des unmittelbar angrenzenden Nachbarhauses von ihrer ursprünglichen Absicht ab, das Gotteshaus in Brand zu stecken. Weiterhin suchten sie das Haus der Familie von Sally Weinberg heim. Hier zertrümmerten die SA-Leute die Fensterscheiben und zwangen den Hauseigentümer, der im Ersten Weltkrieg Soldat gewesen war, in demütigender Weise vor seinem Haus "anzutreten". Am 17. November 1938 wurde das Haus von der örtlichen Feuerwehr wegen angeblicher "Baufälligkeit" dann zwangsweise abgerissen.

Am 10. November 1938 überfielen Zimmerleute aus Salz, die beim Anwesen von Heinrich Ruhl I. in Crainfeld beim Dachdecken beschäftigt waren, die alleinstehende Witwe Auguste Lind in ihrem Haus unterhalb vom alten Gerichtsplatz. Während Auguste Lind noch zu Nachbarn fliehen und sich dort verstecken konnte, plünderten die Eindringlinge das Haus und schlugen in einer unglaublichen Orgie der Gewalt alles kurz und klein. Bis zum Jahresende 1938 verließen die letzten jüdischen Crainfelder das Dorf, so dass die Lokalpresse in großer Aufmachung Crainfeld für "judenfrei" erklärte.

Der gebürtige Crainfelder Josef Bär kurz vor seiner Deportation und Ermordung im Jahr 1942 mit dem allen im deutschen Machtbereich zwangsweise verordneten "Judenstern".

Wer von den jüdischen Familien aus Crainfeld nicht schon bis Ausbruch des zweiten Weltkrieges am 1. September 1939 aus Deutschland emigriert war, fiel der ab 1941 beginnenden physischen Ausrottung der Juden zum Opfer. Mancher, der ins benachbarte europäische Ausland gegangen war, wurde infolge der deutschen Besetzung wieder vom nationalsozialistischen Regime eingeholt. Insgesamt wurden mindestens 25 Angehörige jüdischer Familien aus Crainfeld im Holocaust ermordet, weiterhin drei jüdische Bermuthshainer. Obwohl die gesamte "Endlösung der Judenfrage" offiziell geheim war, verbreiteten sich jedoch etliche Gerüchte und Details in der Bevölkerung aufgrund der für jeden sichtbaren Abtransporte aus den Großstädten und durch in den besetzten Gebieten stationierte Soldaten. Auf diese Weise war zumindest einigen Einwohnern der Dörfer und Crainfeld das grauenvolle Schicksal der Juden, wenn auch nicht im ganzen Ausmaß, schon vor Kriegsende bekannt.